Exil, Emigration Heimatverlust, Krieg und Gewalt – das Thema verspricht eine allumfassende Frage nach der zerstörerischen Macht des patriarchalen Systems. Gerade weil Jossi Wieler und sein zum Teil über Jahrzehnte eingespieltes Team offenbar dies alles programmatisch im Auge hatten, ist die Fallhöhe zu dem, was dann faktisch auf der Bühne geschieht, besser gesagt nicht geschieht, so gewaltig groß.
Die krude Geschichte, ein Frühwerk des Sophokles, ist schell erzählt: Die ebenso kluge wie schöne Deianira, Gemahlin des Herakles, fühlt sich von ihrem Superhelden gänzlich vernachlässigt. Ständig scheint er mit militärischen Aufgaben unterwegs.
Schließlich endet seine letzte Mission in einem Fiasko. Die Idee, ein besonders schönes junges Mädchen zu verschleppen und bei sich zu Hause zu implantieren, ist eine zu starke Demütigung für seine Frau, die Rache für seine Untreue nehmen will. Ihr Werkzug: ein magisches Gift, mit dem sie sein Hemd präpariert. Ein fatales Geschenk – Herakles Körper wird förmlich zerfressen – derart schmerzhaft, dass er seinen Sohn bittet, ihn lieber bei lebendigem Leibe zu verbrennen – während die Täterin Selbstmord verübt.
Es mag ein dramaturgisch kluger Entschluss sein, viele dieser Grausamkeiten nicht zu zeigen, sondern nur anzudeuten bzw. von ihnen erzählen zu lassen. Doch daß dieser psychologische und emotionale Reduktionismus so weit getrieben wird, dass man dem ganzen Geschehen ohne jede innere Bewegung folgt, ist freilich sehr problematisch. Das Verfahren, alle Beteiligten fast gänzlich voneinander separiert agieren zu lassen, sie gewissermaßen auf Abstand leiden zu lassen, führt jedenfalls dazu, dass die Zuschauer jedes tiefere Interesse verlieren und der gesamte Abend mehr oder weniger aseptisch im menschlich luftleeren Raum verläuft.
Fast beiläufig berichtet Herakles von seinen Eskapaden. Sein Opfer klebt die gesamte Zeit über wortlos und reglos an einer Wand, um, wenn’s brenzlich wird, stumm in einem Container zu verschwinden. Fast unmerklich vollzieht Deianira ihren Suizid, geht einfach übergangslos ab. Zwischen den beiden Eheleuten gibt es selbst in dramatischen Momenten keinerlei Kontakt, keine Berührung .
Erkennbar sind die Kinder des Paares von dem allen überfordert und geraten gelegentlich außer Rand und Band, lachen übergangslos hysterisch oder schlagen Kapriolen. Wenn Herkules Sohn der Mutter mit schriller, brechender Stimme vom Leiden seines Vater berichtet, umarmt sie ihn für einen flüchtigen Moment. In solchen Augenblicken ahnt man, auf wieviel an dramatischer Power der Regisseur verzichtet hat.
Die Bühne bleibt zwar nicht stumm, aber sie wird resonanzlos, leblos.
Ob die hochgelobte, historisch akribische Neuübersetzung des Textes dazu vielleicht sogar noch beigetragen hat? SIe führt jedenfalls ganz gewiß nicht dazu, den Text politisch zu aktivieren, Meinungen, Haltungen zu stimulieren. So stellt sich schlußendlich die Frage, wohin diese Reise der Frauen von Trachis nun eigentlich gehen soll? Ins ideologische und psychologische Abseits? In den Raum der historisierenden Rekonstruktion? In die Kühltruhe der Philologie? Oder will man nur die innere Ratlosigkeit und Unverbundenheit der Figuren veranschaulichen. So wenn man am Ende für einen Moment fast diesen Eindruck hat: Wenn der junge ratlos und achselzuckend zwischen der zukünftigen Leiche des Vaters und der schleichenden Bedrohung durch dessen stumme Geliebte steht. Alle anderen sind zu diesem Zeitpunkt längst wie leblose Spielpuppen in Containern oder in den Schubfächern des überdimensionalen Biedermeierschrankes in der Mitte der Bühne verschwunden. Mit ihnen leider auch die zumindest zu Beginn noch ansatzweise spürbare Empörung der Frauen.
Cornelie Ueding