The Vacuum Cleaner – Kammerspiele München

 

v.l.n.r.: Damian Rebgetz, Thomas Hauser, Annette Paulmann, Walter Hess, Julia Windischbauer Foto: ©Julian Baumann

In der ersten deutschsprachigen Inszenierung seines international längst bekannten Stücks „Hot Pepper“ hatte Toshiki Okada die Sprachlosigkeit der Großstadtmenschen angesichts von „Störfällen“ verschiedenster Art sinnenfällig gemacht: die Alltagsphrasen fallen den Figuren wie vorgekaut aus dem Mund. Und dabei zappelt ihr Körper ebenso hilflos wie  verzweifelt – so als wolle er mit aller Macht die Ketten der üblichen Verhaltensweisen abwerfen. Bis in die letzte Zuschauerreihe wirkte dieser körperliche Befreiungsversuch aus den Fesseln der Konventionen nicht nur anrührend und auch komisch, sondern geradezu aufwühlend.

In seinem neuesten, ebenfalls von ihm selbst in den Münchner Kammerspielen inszenierten Stück „The Vacuum Cleaner“ werden wir nun Augen- und Ohrenzeugen – letztlich von Selbstgesprächen. Menschen, die immer noch, als wären sie im Schulalter, „zuhause“ wohnen. Sie sind vor sich hin gealtert, ohne Familie, ohne Beruf, ohne Perspektive, ohne Geld. Im Stück lebt der Vater noch, 80jährig, und erzählt, wie es einmal war, was er sich so dabei dachte – ohne nennenswerten Bezug zur gegenwärtigen Realität. Während die mittlerweile 50jährigen „Kinder“ und deren Freunde verschiedene Formen gefunden haben, die Lebens-Wirklichkeit auszublenden, ihr eigenes soziales Nicht-Miterleben zu kaschieren oder das Haus gar nicht mehr zu verlassen. Die Geschichten, die sie erwähnen, sind austauschbar, fertig; längst zu Ende erzählt oder -gedacht. Perspektivelos. Und ihre Bewegungen kreisen ebenso im immer gleichen Radius wie ihre Selbstgespräche. Sie führen nicht über das Bühnen-Haus aus Japanpapier hinaus, egal, ob sie sich, wie die gealterte Tochter, von ihrem eigenen Redefluss gesteuert durchs Haus turnen, oder, wie der Sohn, immer mal irgendwelche Runden drehen und dann wiederkommen – müssen.

v.l.n.r.: Julia Windischbauer, Annette Paulmann, Walter Hess, Damian Rebgetz
Foto: ©Julian Baumann

Das Problem dieser Aufführung: Alle Bewegungen der Figuren bleiben Illustrationen dieses Zustands. Und Illustrationen bleiben statisch. Alles ist vorhersehbar, wirkt buchstäblich lang-atmig. Denn trotz des Versprechens des Regie führenden Autors: Komisch ist die Aufführung auch nicht, denn die Erfahrung des Zuschauers ist allein die Öde und, sozial gesehen, (fast) Unausweichlichkeit dieser Lebensform, von der in Japan schätzungsweise 600 000 „Hikikomori“ genannte Menschen betroffen sind: arbeitslos, ausgegrenzt, chancenlos, vereinsamt, lebenslänglich infantilisiert.  Man könnte denken, das Theater sei nicht die  geeignete Form für diese sehr spezielle soziale Problematik. Nur: Alle Tschechow-Stücke leben vom Stillstand. Bis heute.

Es gibt eine andere mögliche Erklärung für das theatralische Misslingen dieses  an sich wichtigen Projekts: Okada erklärt in einem (im Programmheft abgedruckten) Interview, dass The Vacuum Cleaner für ihn ein sehr persönliches Stück sei: „…es hätte auch ich gewesen sein können. Ich hatte nur Glück und aus irgendeinem Zufall musste ich kein Hikikomori werden. Und das spüre ich sehr stark in mir beim Schreiben dieses Textes.“  Möglicherweise ist es diese zu große Nähe und das Miteinander von persönlichem Erleben, Stücktext und Regie in einer Person, die dem „Vacuum Cleaner“ die nötige Energie absaugt. Nur an einer einzigen Stelle – fast schon ganz am Ende –  nimmt der Aufsauger zumindest fiktiv richtig Fahrt auf. Bezeichnenderweise kommt das Argument von einem „externen“ Freund des  Hauses, der sich mit diesem ewigen statischen Insichkreisen und dem Zurückschrecken vor der Berührung mit dem Draußen bei aller Sympathie für die freiwilligen Gefangen einfach nicht abfinden will.  Sein Rat: Kabel verlängern, einfach mal raus ins Freie, oder den Staubsauger als Kalaschnikow verwenden –  mal versuchen, die Schwelle zu überschreiten. Ja, überlegt die Tochter einem Moment: das wäre, wäre… möglicherweise — aber nein, das geht nicht mehr und ist ja auch egal …. Irgendwie.

Ein todtrauriges Stück mit ein wenig angekränkeltem Humor, das ein Problem in den Fokus nimmt, das bald auch für Europa wichtig werden könnte. Zumindest bei wieder steigender Arbeitslosigkeit.

„The Vacuum Cleaner“ an den Kammerspielen München: Eine Inszenierung vonn Toshiki Okada. Noch bis 24. Januar 2020