„La Gazzetta“ – Rossini / Oper Frankfurt

v.l.n.r. Danylo Matviienko (Monsù Traversen), Statistin der Oper   Frankfurt, Nina Tarandek (Madama La Rose) und Matthew Swensen (Alberto).
Foto: ©Barbara Aumüller   

Wenn sich ein Vater gezwungen sieht, seine Tochter in einer Zeitungsannonce dem meistbietenden Ehewilligen zu offerieren, ist etwas faul im System. Wenn dies bereits 1762, in einem Stück Goldonis geschieht, ist dieser Vorgang besonders bemerkenswert. Man fragt sich nicht nur, ob der Nimbus der bis dahin allmächtigen väterlichen Instanz schon angekratzt ist, sondern auch, was mit einer Gesellschaft los ist, die es für normal erachtet, private Gefühle öffentlich zu vermarkten?

Vielleicht war es gerade dieser ziemlich vulgäre materialistische Offenbarungseid, der Rossini und seinen Librettisten ein halbes Jahrhundert später dazu veranlasste, genau dieses Motiv aufzugreifen und einer Neubearbeitung zu unterziehen.

Und der – erfreulicherweise – die Oper Frankfurt dazu veranlasste, sich dieses etwas stiefmütterlich behandelten, ein wenig im Schatten des ungleich erfolgreicheren „Barbiere“ und der „Cenerentola“ stehenden Werkes anzunehmen – und es noch eine Stufe weiter in die Moderne zu tragen: Nämlich in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts. 

v.l.n.r. Nina Tarandek (Madama La Rose), Danylo Matviienko (Monsù Traversen), Martin Georgi (Passepartout) und Franz Mayer (Anselmo)
Foto: ©Barbara Aumüller

Eine Zeitreise, die sich gelohnt hat, weil sie das zentrale Problem, das der rasanten Veränderung der Rolle der Frauen, noch plastischer zur Kenntlichkeit bringt. Was an einem unbehausten Bahnhof beginnt, endet im makabren Maskentanz eines mondänen Ballsaals. Dank Simone Di Felice‘s ebenso einfühlsamen wie präzise federndem Dirigat und der glänzend besetzten Rollen wird auch die innere Dynamik einer Entwicklung erfahrbar, in der die Töchter zu körperbewusst auftrumpfenden, Beine schlenkernden Salondamen im Charleston-Look mutieren, während die Väter zu Witzfiguren in Unterhosen oder lächerlichen Spitzenröckchen werden. Dazwischen ein tollkühnes, aberwitziges Spiel um Liebe und Profitgier, Verwechslungen, Erpressungsversuche und Verwandlungen… 

Der Vater will also die Tochter ganz unverblümt verscherbeln. Die freilich hat ihre Wahl längst getroffen – expressiv beglaubigt von traumhaften Koloraturen – und Kapriolen. Dafür ist die Regisseurin Caterina Panti Liberovici zuständig, die den Irrwitz in seiner ganzen Bandbreite im ersten Teil des Abends als Groteske entlarvt. Der kongeniale Spielort, das ehemalige Bockenheimer Straßenbahndepot spielt förmlich mit: Mobile, hereingeschobene und wieder herausgleitende Kulissenwände, hinter denen Figuren unvermittelt auftauchen, sich verbergen und wieder verschwinden können. Aus der Bahnhofs-Wartehalle (auf einen erst ganz am Ende über alles hinwegrollenden Zug) wird so im Nu das Foyer eines Hotels, eine Bar, ein Salon. Aus verstockt mitreisenden Töchtern werden die erwähnten kapriziös kostümierten Damen, die einander immer ähnlicher  – und zugleich  eigenwilliger, unidentifizierbarer und damit für ihre Väter unlenkbar werden. Burleskes Spiel, Stimmungswechsel – und Gefühlsausdruck: Trotz, Eigenwilligkeit, Wut, Verletzlichkeit –  ja und: nicht irgendwie verspielte Verliebtheit, sondern selbstbestimmte Liebe setzen sie den zunehmend zur komischen Figur werdenden väterlichen Machthabern entgegen.

Sebastian Geyer (Don Pomponio Storione; in der Bildmitte mit weißem Rock) und Ensemble. Foto: ©Barbara Aumüller

Der zweite Teil zeigt, welche Kraftanstrengung zu diesem Befreiungsschritt nötig ist – und wieviel Mut dazu gehört, sich der traditionell anerkannten, ja nie angezweifelten Macht der Väter entgegenzustellen.

Die Identitäten verschwimmen, als Wut, Entschlossenheit und Verletzlichkeit den Übermut und die bockige Tändelei dieses Macht-Spiels mit verdeckten Karten ablösen. So wird aus der „einen“ Liebesgeschichte am Abgrund väterlicher Befehle – der Entschluss der Frauen zu einem eigenen Leben. Und das ist auch eine Geschichte von Verzicht, Wut, Entschlossenheit  – und Ängsten angesichts einer ungewissen Zukunft.

Denn wer in den „Roaring Twenties“ des 20. Jahrhunderts Vater war, hatte zwar den 1. Weltkrieg überstanden – war aber geschwächt. Eine Rückkehr in die väterliche Obhut wäre für die Frauen gleichbedeutend mit  Selbstaufgabe.

Die Ablösung ist irreversibel. 

„La Gazetta“ von Gioachino Rossini nach Carlo Goldoni an der Oper Frankfurt