„Wir retten Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären“ – Boris Palmer

  Oberbürgermeister Boris Palmer. Foto: ©Manfred Grohe 

Ich sage es Ihnen mal ganz brutal: wir retten in Deuschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären

Boris Palmer im SAT1 Frühstücksfernsehen zu den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona Virus

…Nein, keine böswillige Unterstellung , kein aus dem Zusammenhang Gerissenes. Wenn seriöse Medien wie SZ und FAZ diese jüngste Aussage des Tübinger OB veröffentlichen, handelt es sich wohl kaum um Fake News. Und es bedarf auch keiner feingeistigen Interpretation, um die Unerträglichkeit dieser Aussage und des hinter ihr stehenden Denkens zu erfassen. Ein Satz wie aus dem „Wörterbuch des Unmenschen“, schlimmer als Heidegger und Sloterdijk zusammen und ohne jede Verschlüsselung  – eben „ganz brutal“.

Die Frage an uns – wann soll man eigentlich reagieren? Wann wird eine dieser immer wieder erwähnten imaginären „roten Linien“ gezogen und konkret reagiert? Was darf einer, der im Auftrag der Bürgerschaft agiert und agitiert noch alles  sagen, bevor es einmal zuviel wird.

Wir werden nicht müde, über Vergiftung der und durch Sprache  zu raisonnieren – und verstummen, wenn es vor der eigenen Haustür passiert. Diese Sprache ist Gift – nicht einmal unter einer raffinierten Tarnkappe, sondern direkt, frontal, – brutal! 

Eine verächtliche Kampfansage gegen alles in der Wahrnehmung ihres Autors Kranken und Alten, Hinfälligen. Eine Triage aus Worten. Sie stellt letztlich in unschöner Unverblümtheit die Frage der Prioritäten und teilt die Welt in zwei Hälften: hier das lebenswerte, junge , gesunde Leben – dort all das, was in einem halben Jahr wahrscheinlich ohnehin schon unter der Erde liegt. 

Ein winziger Schritt weiter – und  wir sind bei Begriffen, von denen wir dachten es gäbe sie nie wieder. 

Wahrscheinlich wird sich das Stadtoberhaupt zugutehalten, dass er wenigstens  den Mut hat  auszusprechen, was  viele andere klammheimlich denken, wenn sie über die „Gefährdeten“ den Mantel  der fürsorglichen Isolation breiten. Er mag damit schlimmstenfalls vielleicht sogar recht haben – in der Sache wird sein Verhalten durch nicht nicht entschuldbarer, sondern, im Gegenteil, noch unverantwortlicher. Denn es kann nicht die Aufgabe eines Stadtoberhaupts sein, unterschwellige populistische  Stimmungen plakativ zu bedienen und  noch zu verstärken. Umgekehrt hat einen Kommune  ihr Mitspracherecht über die geistige und emotionale Kultur ihres Gemeinwesens nicht mit der Stimmabgabe an der Wahlurne erfüllt. Sie hat dafür zu sorgen, dass gefährliche, mit den Erfahrungen der Deutschen Geschichte nicht zu vereinbarende Positionen, mit allen legalen  Mitteln  bekämpft  und  unterbunden werden. Nicht nur im Namen derer , die in einem halben Jahr tot sein werden, sondern auch im Namen derer, die, in dieser Stadt leben und überleben wollen. Um es mal „ganz brutal“ zu sagen. Ganz abgesehen davon, dass es hier um weit mehr geht als um die mentalen Aberrationen eines aus der Spur geratenen Lokalpolitikers. Da sich die überregionalen Medien zu seinem Resonanzraum machen, geht es auch um das Bild und Selbstbild dieses Landes.