President Donald J. Trump delivers the opening remarks at the 50th Annual World Economic Forum meeting Tuesday, Jan. 21, 2020, at the Davos Congress Centre in Davos, Switzerland. (Foto: Official White House Photo by ©Shealah Craighead)
Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von: Julian Schlicht.
Der Klimawandel und seine Folgen – das ist das dominante Thema der Gegenwart, und es ist nicht zuletzt der jungen Schwedin Greta Thunberg und den von ihr initiierten Fridays for Future-Demonstrationen zu verdanken, dass heute niemand mehr an diesem Thema vorbeikommt.
Klimawandel – das Thema hat auch an Emotionalität gewonnen. Das Wort Flugscham legte im vergangenen Jahr eine internationale Medienkarriere hin, Klimahysterie als Kampfbegriff der Greta-Gegner wurde zum deutschen Unwort des Jahres. So manche/r sehnt sich da vielleicht zurück, in die Jahre, in denen der Klimaforscher Mojib Latif – der mit freundlich dreinblickendem Gesicht, unaufdringlich und in wissenschaftlicher Abgeklärtheit in den Abendnachrichten von der kommenden Katastrophe kündete – das härteste Geschütz der Klimaschützer war. Oder in denen Greenpeace große Banner an Ölplattformen tackerte, die irgendwo weit hinter dem Horizont in der Nordsee schwammen.
Heute sind es nicht mehr nur große Konzerne und die Politik, die angeklagt werden. Heute sind es keine freundlich mahnenden Worte mehr. Heute schleudert ein 16-jähriges Mädchen mit maskenhaftem Gesichtsausdruck unter Tränen ihr „How dare you“ in die Runde der Staatenlenker/innen und verlangt „I want you to panic“. Und damit meint sie uns alle. Wir alle sollen uns fragen, wie wir es wagen konnten, uns so an der Natur zu versündigen, wir alle sollen in Panik ausbrechen – und nichts ist mehr heilig, selbst die liebe Oma nicht, die im Hühnerstall mit ihrem Motorrad zur alten Umweltsau wird (auch wenn WDR-Intendant Tom Buhrow das nicht wahrhaben will, der aus dem Krankenhaus heraus per Telefon seinen 92-jährigen Vater verteidigt, und nicht versteht, dass eigentlich seine eigene Generation gemeint ist).
Bild: ©Wikipedia
Dass es nicht allen gefällt, wie wir da angeklagt werden, versteht sich von selbst und zeigt sich fast täglich in der öffentlichen Diskussion. Die Reaktionären von der AFD überschlagen sich regelmäßig bei dem Versuch, sich gegenseitig darin zu übertreffen, Greta Thunberg als Ikone der Fridays for Future-Bewegung zu desavouieren (einen Eindruck kann sich jede/r schnell verschaffen, indem er/sie einmal bei einer großen Internetsuchmaschine die Begriffe AFD und Greta Thunberg eingibt), und auch einige Vertreter/innen der sogenannten etablierten Parteien fühlen sich von einer Jugend, die sich so politisch zeigt, wohl hin und wieder doch etwas zu sehr auf den sprichwörtlichen Schlips getreten. So ist FDP-Chef Christian Lindner im März 2019 etwas patronisierend der Meinung: „…das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare“ seien eigentlich doch „eine Sache für Profis“.
Auftritt: Donald Trump
Jemand, der den Klimaschutz auch gern unter Finanzierungsvorbehalt stellen möchte, ist Donald Trump. Seines Zeichens ebenfalls ein Emotionalisierer der Politik, hat er beim jährlichen Treffen des Weltwirtschaftsforums in Davos letzte Woche so ziemlich alle Erwartungen erfüllt, und die öffentliche Empörungsmaschinerie mit neuem Treibstoff versorgt. In einer knapp 30-minütigen Rede pries er vor allem ausführlich die Großtaten seiner Regierung und pflegte sein Macher-Image.
Beim vorherrschenden Geist in Davos hat aber sogar das Finanzunternehmen BlackRock, das nicht gerade häufig mit guten Nachrichten von sich reden macht, die Gefahren des Klimawandels als „eine der wichtigsten Investitionsrisiken“ erkannt. Und so kommt nicht einmal einer wie Donald Trump an diesem Thema vorbei. Am Ende war in seiner Rede schließlich für Jede und Jeden etwas dabei. Die BBC fact-checked seine Behauptungen zur US-Wirtschaftslage, Starinvestor George Soros nennt ihn einen „Betrüger“, und Grünenchef Robert Habeck lässt sich dazu hinreißen, der ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf kopfschüttelnd ins Mikrophon zu stammeln „Ich bin fassungslos […] er ist der Einzige, glaube ich, der es hier nicht verstanden hat […] Er ist der Gegner“.
Technologischer Fortschritt als Heilsbringer
Dabei hatte Trump in seiner Rede sogar die europäische Renaissance und ihre Errungenschaften gepriesen. Die Kathedralen Europas, Santa Maria del Fiore in Florenz, deren radikaler Entwurf dem technisch Machbaren der Zeit weit voraus war, und die Kathedrale Notre-Dame in Paris nannte Trump als Beispiele dafür, dass es sich lohne, große Träume zu verfolgen. Nur dass Trump dies als Ausrede benutzt, die Gefahren des Klimawandels kleinzureden – so zumindest musste man ihn verstehen. Denn auch wenn er weder das Wort Klimawandel noch den Namen Greta Thunbergs während seiner Rede in den Mund nahm, so war das Ziel seiner Attacken doch allen klar.
„In Italy, the citizens once started construction on what would be a 140-year project, the Duomo of Florence. An incredible, incredible place. While the technology did not yet exist to complete their design, city fathers forged ahead anyway, certain that they would figure it out someday. These citizens of Florence did not accept limits to their high aspirations and so the Great Dome was finally built.“
Präsident Donald Trump in Davos 2020 – The White House
Während im Kathedralenbau wohl noch häufig auf Gottes Hilfe vertraut wurde, will sich Trump auf diesen jedoch nicht mehr verlassen. Er hat eine andere Heilsbringerin identifiziert. Die menschliche Kreativität, so Trump werde auch weiterhin die Herausforderungen überwinden, der sich die Menschheit gegenübersieht – „any challenge by far“. Trump inszeniert sich als Mann der Technologie und der Forschung und schimpft gegen radikale Sozialisten. Mit kühlem Kopf voranschreiten, ist seine Devise, nur so können weitere wissenschaftliche Durchbrüche erreicht werden, wie im 20. Jahrhundert die Erfindung von Penicillin, ertragreichem Getreide, modernen Verkehrsmitteln und Impfungen – the sky is the limit ist die Maxime. Er übersieht dabei nur, dass auch Technophilie eine Ideologie ist.
„But the wonders of the last century will pale in comparison to what today’s young innovators will achieve because they are doing things that nobody thought even feasible to begin. We continue to embrace technology, not to shun it. When people are free to innovate, millions will live longer, happier, healthier lives.“
Präsident Donald Trump in Davos 2020 – The White House
Gerade angesichts der neuen unbequemen Klimaaktivisten, die es auf unser aller Lebensstil abgesehen haben, ist der Glaube ans technologische Utopia verlockend, bedeutet er doch, dass es, angesichts des drohenden Klimawandels gar nicht nötig ist, die eigene Lebensweise zu verändern, oder gar auf Komfort und Luxus zu verzichten und sich einzuschränken. Ist erst das emissionsfreie Flugzeug und das saubere Auto erfunden, kann keine Rede mehr von #Flugscham sein, wenn wir mit dem SUV zum Flughafen brausen, um für ein Wochenende nach Mallorca zu jetten. Und können wir erst alles CO2, das durch industrielle Massentierhaltung in die Atmosphäre gelangt, in den Boden zurückpumpen, werden den nervigen Klimaschützern schnell die Argumente für ihren Veggie Day ausgehen.
„And we’re continuing to work on things that you’ll be hearing about in the near future that, even today, sitting here right now, you wouldn’t believe it’s possible that we have found the answers. You’ll be hearing about it. But we have found answers to things that people said would not be possible — certainly not in a very short period of time.“
Präsident Donald Trump in Davos 2020 – The White House
Selbst wenn all diese heilsversprechenden Erfindungen zu spät kommen, dann wird der menschliche Erfindergeist schon etwas hervorbringen, womit wir die kaputte Erde dann einfach wieder reparieren. So wie im Jahr 2014. Da stelle der Niederländer Boyan Slat das Projekt The Ocean Cleanup vor. Das Versprechen war bestechend simpel: Den ganzen Plastikmüll in unseren Meeren einfach wieder herausfischen. Innerhalb weniger Wochen übertraf das Projekt mit über 2,1 Millionen US-Dollar per Crowdfunding sein Finanzierungsziel. Die Begeisterung für das Projekt war enorm, ebenso wie die damit verknüpften Hoffnungen. Inzwischen zeigt sich: Ganz so einfach wird es doch nicht – ein erster Prototyp des Projekts scheiterte Anfang 2019 spektakulär. Nun ist ein überarbeitetes System in Betrieb. Um die Reduktion von (Mikro-) Plastik in unserem Konsum werden wir aber wohl trotz alledem nicht herumkommen.
Foto: ©The Ocean Cleanup
Auch Trump gibt sich der naiven Hoffnung hin, dass der technologische Fortschritt und ein beherztes ‚Weiter so‘ die Probleme der Menschheit (und das größte dieser Probleme ist vermutlich der Klimawandel) schon aus der Welt wird schaffen können. „Dies ist nicht die Zeit für Pessimismus, dies ist die Zeit für Optimismus. Ängste und Zweifel lösen keine guten Denkprozesse aus. Dies ist die Zeit für gewaltige Hoffnung und Freude, Optimismus und Aktion“ so Trump in Davos.
„This is not a time for pessimism; this is a time for optimism. Fear and doubt is not a good thought process because this is a time for tremendous hope and joy and optimism and action.“
Präsident Donald Trump in Davos 2020 – The White House
Es gehört zur Tradition der Technophilie, dass ihre Anhänger die negativen Seiten in der Technikfolgenabschätzung erfolgreich ausblenden und alle Zweifel beiseite wischen. Und es gehört zur Tradition der Technik, dass sie sich nicht selbst reguliert. Schon Dürrenmatt lässt in ‚Die Physiker‘ Johann Wilhelm Möbius über die Gefahren einer unkontrollierten Wissenschaft resümieren:
„Ich bin der arme König Salomo. Einst war ich unermeßlich reich, weise und gottesfürchtig. […] Aber meine Weisheit zerstörte meine Gottesfurcht, und als ich Gott nicht mehr fürchtete, zerstörte meine Weisheit meinen Reichtum. Nun sind die Städte tot […] und irgendwo um einen kleinen, gelben, namenlosen Stern kreist, sinnlos, immerzu, die radioaktive Erde.”
Die Figur des Johann W. Möbius in: Friedrich Dürrenmatt (1962): Die Physiker
Und in Bertolt Brechts Theaterstück ‚Leben des Galilei‘ in der Version von 1945 zieht der namensgebende Gelehrte ein ähnlich düsteres Fazit:
„Ich hatte als Wissenschaftler eine einzigartige Möglichkeit. […] Hätte ich widerstanden, hätten die Naturwissenschaftler etwas wie den hippokratischen Eid der Ärzte entwickeln können, das Gelöbnis, ihr Wissen einzig zumWohle der Menschheit anzuwenden! Wie es nun steht, ist das Höchste, was man erhoffen kann, ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können.”
Die Figur des Galileo Galilei in: Bertolt Brecht (1945): Leben des Galilei
Dass Trump zwar die technischen Errungenschaften der Renaissance zu würdigen weiß, aber wenig vom kritischen Denken der Philosophen dieser Epoche hält vermag nicht zu überraschen. Er hat längst die Bedenkenträger als die eigentlichen Gegner ausgemacht. „Um aber die Chancen von morgen annehmen zu können, müssen wir die beständigen Weltuntergangspropheten und ihre Vorhersagen von einer Apokalypse zurückweisen. Sie sind die Nachfolger der törichten Wahrsager von gestern – “, wettert er in Davos.
„But to embrace the possibilities of tomorrow, we must reject the perennial prophets of doom and their predictions of the apocalypse. They are the heirs of yesterday’s foolish fortune-tellers”
Präsident Donald Trump in Davos 2020 – The White House
Von König Priamos zu Trump
Damit folgt er einer weiteren Tradition, die ihren Ursprung in noch viel früherer Zeit hat. Schon einmal wandte sich der vielleicht mächtigste Mann der damaligen Welt gegen eine große Mahnerin seiner Zeit. Für Priamos, den König der mächtigen Stadt Troja, war das „Oh Wehe! Oh Wehe!“ seiner Tochter Kassandra ebenfalls nur törichte Wahrsagerei. Die Götter würden ihm schon wohlgesonnen sein, so dachte er – das große hölzerne Pferd auf dem Strand vor den Toren der Stadt (auch ein kleines technologisches Wunder) war Beweis dafür. Der Ausgang der Sage ist bekannt. Troja musste fallen, weil Kassandra wirklich etwas wusste, und der mächtige König ihr nicht glauben wollte. Ein Fluch, der Kassandras Sehergabe zu einem vergifteten Geschenk machte. Auch heute ist sie uns als Schwarzseherin und Unke bekannt, als prophet of doom – und doch täten wir oft gut daran, ihren Mahnungen Gehör zu schenken.
Foto: Wikipedia
Trump verschweigt, dass die Kassandra von Fridays for Future (denn vor allem gegen die richtet er sich wohl) keine bloße Wahrsagerei betreibt, auch sie weiß wirklich etwas. Und wie im großen Trojanischen Krieg ist es etwas, das wir eigentlich alle wissen könnten – 97% der Klimawissenschaftler/innen sind sich darin einig und inzwischen stehen die Scientists for Future längst den Schülern und Schülerinnen von Fridays for Future zur Seite und nehmen sie gegen die herablassenden Rufe nach den „Profis“ in Schutz – wir weigern uns nur, es zu sehen.
„The great scientific breakthroughs of the 20th century — from penicillin, to high-yield wheat, to modern transportation, and breakthrough vaccines — have lifted living standards and saved billions of lives around the world.”
Präsident Donald Trump in Davos 2020 – The White House
Und Trump vergisst noch etwas, wenn er die großen wissenschaftlichen und technologischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts preist. In diesem Jahrhundert hat die Wissenschaft nicht nur das Penicillin entdeckt, den Sprung in den Weltraum geschafft und das erste Säugetier geklont. Sie hat der Welt auch den Panzer, Zyklon B und die Atombombe gebracht. Die Erfindungen des 20. Jahrhunderts „have lifted living standards and saved billions of lives around the world“ so Trump. Aber das 20. Jahrhundert hat uns auch gezeigt, dass ein völlig entfesselter technischer Fortschritt in die Katastrophe führen kann, und dass wir gut daran tun, nicht nur der Wissenschaft zu glauben, die uns die Machbarkeit predigt, sondern auch den mahnenden Kassandrastimmen hin und wieder Gehör zu schenken.
Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Julian Schlicht. Julian Schlicht studierte Islam- und Politikwissenschaft an der Universität Tübingen und ist Mitarbeiter im von Prof. Wertheimer geleiteten Forschungsprojekt "Projekt Cassandra".Weitere Artikel dieses Autors auf diesem Blog: Autor: Julian Schlicht.