Kafkas Text sei „ein komplexer Impulsgeber“ – eine Einladung zum Ungezieferwerden – rufe jedoch nie zum Abbilden auf, heißt es im Programmheft. Folgerichtig besteht das „Bühnenbild“ von Zahava Rodrigos aus einem großen Wasserbecken im Zentrum des Spiel-Raumes; schräg drüber liegt ein offenbar umgestürzter Baumstamm . Kein Ort nirgends – und offenbar doch der einzige Aufenthaltsraum für die drei Figuren, zwei Männer, eine Frau, die nicht so recht wissen, was sie eigentlich tun sollen, können … 90 endlos scheinende Minuten lang. Dennoch belohnte am Ende frenetischer Jubel die Leistung des Ensembles um Regisseurin Leonie Böhm, das regelrecht gefeiert wurde. Zu recht. Mehr als eine Stunde im einem Becken mit kaltem trüben Wasser herumzuplantschen, reinzuspringen, rauszurobben, unterzutauchen wieder aufzutauchen verdient Respekt. Gelegentlich durfte man die drei Akteuere, eine etwas blasse aber kesse junge Frau, ein kräftiges langhaariges Wesen im gelben Pulli und Kleid und einen schmalen, behenden Jungen im kurzen Rüschenröckchen auch auf der überdimensionalen Wurzel balancieren sehen und sie rauf- und runterrutschend ob ihrer behenden Akrobatik bewundern. Dann aber wieder ab ins Wasser, um sich allein, zu zweit oder dritt zu suhlen – lustvoll oder qualvoll – wer mochte das entscheiden. Oder kleine Wasserschlachten vollziehen, einfach ins Wasser abtauchen und bisweilen beängstigend lange ganz untertauchen. Und das überwiegend junge Publikum reagierte auf jeden Mucks, auf jede gelungene oder tollpatschige Bewegung mit wonnevollem Gelächter.Natürlich – man ist ja im Theater – gab es gelegentlich auch so etwas wie Sprache. Anfangs 20 lange Minuten, mit viel „hm“, „wolln wir“ , „sollen wir“, „jetzt aber gleich“- Geplänkel, ob man überhaupt fähig und Willens sei zu spielen. Dann, etwa in der gleichen witzelnd indifferenten Tonlage, philosophisch-therapeutisches Gemurmel über die derzeitige innerliche Befindlichkeit, das Da-Sein an sich, Trübsinn und Weltschmerz. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte der naive Zuschauer längst die Hoffnung begraben, irgendwelche Nähe zu Kafka, bzw. zur Verwandlung zu erwarten. Was als „Nach“ Kafka angekündigt worden war, erwies sich als keckes „Statt“ Kafka. Also nichts von dessen Analyse systematischer Ausgrenzung, Isolation, Entmenschlichung, dafür eine Überdosis an wehleidigem Abtauchen, heulendem Elend am Beckenrand, abgebrochenen, undefinierbaren Ansätzen zu Rollenspielen – Vater – Kind … ab und zu, ein-, zweimal taucht ein Begriff von Kafka als verlorenes Einsprengsel auf. Das war’s. Halt nein, noch nicht ganz. Am Ende durfte man das Trio zu irgendeiner Aufnahmeprüfung in eine Anstalt antreten sehen. Domestizierung als Verwandlung?
Um zwei Dinge noch klarzustellen. Shakespeare nach x, Aischylos nach y —man kennt diese Marotte. Mir persönlich ist aber kein zweiter Fall bekannt, bei dem Vorlage und Produkt so wenig miteinander zu tun haben – was freilich keinen einzigen der begeisterten Zuschauerinnen zu stören schien: im Gegenteil. JA: Im Gegenteil, denn fast schien man erleichtert, den ebenso bösartigen wie klarsichtigen Text Kafkas spielerisch losgeworden zu sein. Hauptsache, „die Wanne war voll“ und alle satt und sauber gebadet.Eine zweite – persönliche – Bemerkung: Ich gestehe, mich macht dieser stupende Erfolg, diese undefinierbare Heiterkeit in, bei und nach dieser Aufführung stutzig. Nicht etwa nur, weil ich die Kluft zwischen „Kafka“ und dem, was hier geboten wurde, als extrem krass empfinde und die Verlinkung mit Kafka als etwas unredlich. Nein, vor allem deshalb, weil hier Öde, Ennui und Langeweile als Offenbarung erkannt wurden. Da war kein Biss, nicht der Hauch innerer Spannung, theatraler Dynamik. Kein Moment wirklichen Leidens, echter Freude der Figuren. All das hätte noch drei der vier Stunden so weiterplätschern können. Und genau das – dass sich eine Generation, zumindest an diesem Abend und für einen Moment, in dieser frohgemuten Perspektivelosigkeit wieder zu erkennen schien, irritierte mich und tut es noch immer.
Cornelie Ueding