„Giulio Cesare in Egitto“. Händel am 20.04.2024 (Oper Frankfurt)

Geisterstunde nach der Schlacht. Zu Beginn erscheint alles wie in Zeitlupe: die Figuren bewegen sich wie in Trance, in erstarrten ritualisierten Bewegungen durch anonyme Räume. Räume der besonderen Art – eigentlich nur eine schmale Spur, ein fast unentrinnbares Nebeneinander gleitender, nach vorn offener karg ausgestatteter Zellen, auf der sich „das Handeln“ aller Figuren bewegt- eine Art Gefangenschaft in der jeweils eigenen Perspektive Eine ebenso seltene wie einleuchtende Übersetzung dessen, was man historische Notwendigkeit, ja: Schicksal nennt.

Denn ob Kampf oder Sieg – der Spielraum ist und bleibt buchstäblich schmal Das Aufeinandertreffen mit Feinden geschieht geradezu zwangsläufig: ob die hintere Begrenzung nun eine Wand mit oder ohne Tür ist. Jeder/jede sieht nur Ihren Ausschnitt der Wirklichkeit – Der Überblick über das Ganze fehlt – was in dieser Situation besonders fatal ist, denn jetzt am Ende des militärischen Sieges sind alle apathisch und angespannt zugleich. Sieger wie besiegte, Römer wie Ägypter. Jeder lauert auf den nächsten Schritt des anderen. Cäsar, der schockiert und verwirrt von seinem Triumph apoplektisch zu Boden fällt, der Hofstaat der Besiegten, die nicht wissen, wie sie mit den neuen Machtverhältnissen, besser dem Machtvakuum umgehen sollen. Tolemeo, bisher König von Ägypten versucht sich dem neuen Herrscher opportunistisch anzudienen: in völliger Verkennung der Situation präsentiert er stolz den enthaupteten Rumpf eines römischen Gegenspielers des Cäsar. Doch statt des erhoffen Lob trifft ihn ein Fluch des in diesem Moment patriotisch denkenden Kaisers.

Strategisch wesentlich geschickter geht seine Schwester, Cleopatra vor: als Dienstmädchen verkleidet, versteht sie sie es, geschickt das erotische Interesse des kampferprobten Weltenbeherrschers zu erregen und diesen -innerhalb weniger Szenen- in einen pennälerhaft herumtänzelnden Clown zu verwandeln, der seinen schwärmerischen Liebesfantasien freien Lauf läßt. Einer der wenigen erheiternden Momente in dieser ansonsten strengen, ja gnadenlosen Choreographie der Macht, die sich unter der Regie von Nadja Loschky auf keinen modischen Schnickschnack (Wie etwa Cecilia Bartolis grandioser Salzburger Fehlgriff, die Cleopatra schick auf eine Rakete verfrachtete.) Nichts davon in Frankfurt.

Anstelle aufwändiger technischer Tricks und skurriler Einfälle tritt eine dramaturgisch virtuose Verspiegelung der Verwandlungs- und Zerfallsprozesse der involvierten Figuren. Cleopatra spielt die Verwandlung von der Küchenhilfe zur Königin absolut überzeugend, auch wenn sie nicht viel mehr als einen weißen Schleier braucht, während Cäsar zwischenzeitlich als verliebter „Gockel“ Brilliert und amüsiert.

Die einzige, die sich in diesem antiken Intrigantenstadel nicht verwandelt, ist natürlich die Römerin Cornelia, die all das über sich ergehen lassen muss, was die geschmeidig trickreiche Ägypterin elegant vermeidet. Anders als die wendige Cleopatra läßt sie alle Avancen und Martern an dich abgleiten – auch stimmlich gefasst und ohne falsche Arabesken . Wenn stoische Verzweiflung einen Klang hätte- Ihre Arien, die jeder Lieblichkeit entbehren, wären es. Besonders im Zusammenspiel mit ihren schmächtigen Söhnchen, dem die Rolle des Rächers alles andere als auf den Leib geschrieben ist- im Gegenteil, seinen entscheidenden Schlag gegen den brutalen Tolemeo, der bereits im Begriff ist, seine Mutter zu vergewaltigen, vollzieht er in geliehenen Klamotten, die ihm nur so über die schmalen Glieder schlottern. Mehr noch – nach vollbrachter Rettungstat verfällt er nicht etwa in eine stolze Siegerpose, sondern bricht förmlich zusammen und torkelt orientierungslos durch den Raum. Der großen Tat, die er sich selbst auferlegt hatte, ist er psychisch letztlich noch nicht gewachsen.

Es sind gerade diese Momente, in denen sich Figuren aus der Hülle Ihrer Identität herausschälen und etwas von sich preisgeben, von dem sie selbst nichts wussten. Jede Figur außer der stoischen Cornelie durchlebt diese Momente: Tolmeo, der mehr und mehr zum mörderisch- bedrohlichen Dandy mutiert und seine Opfer mit zynischer Gleichgültigkeit traktiert. Cleopatra, deren routinierte Verführerinnenrolle im Angesicht der Palastrevolte um sie her kollabiert und in existenzielle Panik umschlägt. Und selbst Cäsar, der vom dominanten Heerführer zum „Schutzsuchenden“ wird. Es gehört zu den Qualitäten dieser Aufführung daß diese Auflösungs- oder Verwandlungsprozesse nicht nur verbal behauptet, sondern visuell konkretisiert werden: Alles gleitet kontrastiv wie in einem Dominospiel der Macht fast folgerichtig ineinander und das Fließband der Macht läuft weiter und weiter. Daß selbst der Ehe von Cäsar und Cl. Zu der es zwischen rauchenden Trümmern der zerschossenen Geisterstadt kein Glück auf Dauer beschieden sein wird, ahnt jeder in dieser brillant gedachten und gemachten Inszenierung spontan.