„Amerika“ von Franz Kafka (Schauspielhaus Stuttgart, 18.05.2024)

Schauspielhaus Stuttgart: „Amerika“ von Franz Kafka. Foto: Thomas Aurin

In Sachen grotesker Überzeichnungen , absurder Albträume , klaustrophobisch düsterer Schräglagen und aufgedrehtem Horrorklamauk ist der ungarische Regisseur Victor Bodó wahrhaft einschlägig erfahren. Mit Kafkas Fragment gebliebenem Roman Amerika/Der Verschollene hat er eine für ihn ideale Spielwiese gefunden, die er vom ersten Moment an auch genüßlich ausspielt. Wobei der Genuss  freilich mehr auf  Seiten der Regie , als der  des Publikums liegt .

Nicht, dass es an  schrägen Momenten fehlen würde. Wulstig auswattierte Dickbäuche  und  klischeehaft ausstaffierte Gangster , Halbweltdamen und Bedienstete bevölkern die Bühne in Scharen  Dennoch will sich keine rechte Spannung einstellen, was mit Sicherheit an einer  in ihre eigenen Inventionen  verliebten Regie liegt.   Wenn von Beginn an  praktisch jede der Figuren um den Verschollenen , den jungen Karl Rossmann,  permanent in spastische Zuckungen, jämmerliche Erstarrung oder grimassierende Verrenkungen verfällt , beginnt das nach spätestens einer Stunde schlicht zu langweilen. So reiht sich slapstick an slapstick und die verstörende  Irrfahrt des Protagonisten gerät mehr und mehr zur Nebensache. 

Kafka  selbst schildert mit akribischer, bewußt umständlicher Genauigkeit die allmähliche Verunsicherung des gutwilligen, schlaksigen  jungen Mannes, der sich langsam mehr und mehr in den tückischen aber jeweils sehr plausibel wirkenden  Maschen des ihm fremden Systems verfängt. In Stuttgart wird daraus eine eindimensionale Abfolge von Tiefschlägen, die wie aus dem Nichts auf den armen Karl einprasseln . Der Clou, dass  da einer immer wieder sein Menschenmögliches versucht , um sich doch  irgendwie  gegen die krude Realität zu behaupten,  geht dadurch verloren . Aus einem stoischen Idealisten wird ein törichter Blindgänger. 

Immer wieder gibt es Momente, in denen aufscheint, was Bodó aus dem Stoff hätte machen können. Etwa  wenn die Verschwörung der Angestellten im Hotel „Occidental“ eine so gespenstische Dynamik  annimmt, dass Karl sich  im Reigen der Doppelgänger  in gleicher Kostümierung  nahezu  zu verlieren droht. 

Doch leider  bleibt es bei einer Addition derartiger  Momente und die mehr als zwei Stunden dehnen sich zu einem fast beliebigen Neben- und Nacheinander von monströsen  Torturen. 

Schauspielhaus Stuttgart: „Amerika“ von Franz Kafka. Foto: Thomas Aurin

Schlimmer als dieses  existentielle Manko ist der damit einhergehende Verlust an politischer Aussage. Die niedliche Klimbimschau  nimmt dem brandaktuellen Stück über Exilerfahrung, Migration und Suche nach neuer Identität genau diesen aktuellen Bezug. Noch nicht einmal die fragwürdige Schlussutopie des „Naturtheaters von Oklahoma“ , gibt dem Stück jene Wende, die ihm Leben einhauchen könnte. Am Ende (wie bereits zu Beginn)  landet man vor einer Registratur: Name , Vorname, Beruf….

So versickert die Aufführung eher als dass sie pointiert endet.  Erstaunlich  – und sehr bedauerlich – in Anbetracht der Tatsache, dass Kafkas „Amerika“ ja vermutlich aus genau den  Gründen  politischer Aktualität  gerade jetzt  auf die Bühne gebracht wurde.