In Sachen grotesker Überzeichnungen , absurder Albträume , klaustrophobisch düsterer Schräglagen und aufgedrehtem Horrorklamauk ist der ungarische Regisseur Victor Bodó wahrhaft einschlägig erfahren. Mit Kafkas Fragment gebliebenem Roman Amerika/Der Verschollene hat er eine für ihn ideale Spielwiese gefunden, die er vom ersten Moment an auch genüßlich ausspielt. Wobei der Genuss freilich mehr auf Seiten der Regie , als der des Publikums liegt .
Nicht, dass es an schrägen Momenten fehlen würde. Wulstig auswattierte Dickbäuche und klischeehaft ausstaffierte Gangster , Halbweltdamen und Bedienstete bevölkern die Bühne in Scharen Dennoch will sich keine rechte Spannung einstellen, was mit Sicherheit an einer in ihre eigenen Inventionen verliebten Regie liegt. Wenn von Beginn an praktisch jede der Figuren um den Verschollenen , den jungen Karl Rossmann, permanent in spastische Zuckungen, jämmerliche Erstarrung oder grimassierende Verrenkungen verfällt , beginnt das nach spätestens einer Stunde schlicht zu langweilen. So reiht sich slapstick an slapstick und die verstörende Irrfahrt des Protagonisten gerät mehr und mehr zur Nebensache.
Kafka selbst schildert mit akribischer, bewußt umständlicher Genauigkeit die allmähliche Verunsicherung des gutwilligen, schlaksigen jungen Mannes, der sich langsam mehr und mehr in den tückischen aber jeweils sehr plausibel wirkenden Maschen des ihm fremden Systems verfängt. In Stuttgart wird daraus eine eindimensionale Abfolge von Tiefschlägen, die wie aus dem Nichts auf den armen Karl einprasseln . Der Clou, dass da einer immer wieder sein Menschenmögliches versucht , um sich doch irgendwie gegen die krude Realität zu behaupten, geht dadurch verloren . Aus einem stoischen Idealisten wird ein törichter Blindgänger.
Immer wieder gibt es Momente, in denen aufscheint, was Bodó aus dem Stoff hätte machen können. Etwa wenn die Verschwörung der Angestellten im Hotel „Occidental“ eine so gespenstische Dynamik annimmt, dass Karl sich im Reigen der Doppelgänger in gleicher Kostümierung nahezu zu verlieren droht.
Doch leider bleibt es bei einer Addition derartiger Momente und die mehr als zwei Stunden dehnen sich zu einem fast beliebigen Neben- und Nacheinander von monströsen Torturen.
Schlimmer als dieses existentielle Manko ist der damit einhergehende Verlust an politischer Aussage. Die niedliche Klimbimschau nimmt dem brandaktuellen Stück über Exilerfahrung, Migration und Suche nach neuer Identität genau diesen aktuellen Bezug. Noch nicht einmal die fragwürdige Schlussutopie des „Naturtheaters von Oklahoma“ , gibt dem Stück jene Wende, die ihm Leben einhauchen könnte. Am Ende (wie bereits zu Beginn) landet man vor einer Registratur: Name , Vorname, Beruf….
So versickert die Aufführung eher als dass sie pointiert endet. Erstaunlich – und sehr bedauerlich – in Anbetracht der Tatsache, dass Kafkas „Amerika“ ja vermutlich aus genau den Gründen politischer Aktualität gerade jetzt auf die Bühne gebracht wurde.