Aida (Oper Frankfurt 2023/24)

Copyright: Barbara Aumüller. Oben v.l.n.r. Guanqun Yu (Aida), Claudia Mahnke (Amneris) und Kihwan Sim (Der König von Ägypten) sowie unten in der Bildmitte mit hinter dem Rücken verschränkten Armen Nicholas Brownlee (Amonasro), umgeben vom Ensemble
Copyright: Barbara Aumüller. Oben v.l.n.r. Guanqun Yu (Aida), Claudia Mahnke (Amneris) und Kihwan Sim (Der König von Ägypten) sowie unten in der Bildmitte mit hinter dem Rücken verschränkten Armen Nicholas Brownlee (Amonasro), umgeben vom Ensemble

AIDA, das heißt große, ganz große Opernbühne: am besten ganze
Arenen, Pferde und Elefanten. AIDA war und ist ein Politikum –
Seit je her war das Auftragswerk des Ägyptischen Vizeregenten
Ismail Pascha zur Eröffnung des Suezkanals ein nationales
Prestigeobjekt: Pomp,  Pathos,  Patria seine Insignien.  Der Name
Aida steht synonym für das beste und schlimmste, was man mit
dem Begriff „große Oper“ verbindet. 
Regisseurin Lydia Steier wusste natürlich um diese Hypothek,
ebenso  wie  um  Neuenfels` legendäre Frankfurter „ Aida“ von
1981 als es – Aida als Putzfrau – zu einem riesigen Theaterskandal
inklusive Bombendrohungen kam. Die vereinzelten Buhrufe am
Ende der neuen Frankfurter Aida waren nur mehr ein matter
Abglanz der damaligen Erregung. Denn der US-Regisseurin ging
es weniger um eine neuerliche Provokation, als um eine neue
Sicht auf das martialisch pompöse Geschehen, um Geschichte von
unten, will man es auf eine knappe Formel bringen.  Ihr Trick
dabei:
Keine plumpe Aktualisierung. Und auch keine pure Reduktion auf
Wohnküchenmilieu – wie so oft. 

Copyright: Barbara Aumüller. In der Bildmitte Rücken an Rücken Guanqun Yu (Aida) und Stefano La Colla (Radamès) sowie Ensemble


Sie begnügt sich vielmehr damit, das ganze Geschehen von der
Rückseite her in Augenschein zu nehmen. Aida zu Beginn zwar
wie bei Neuenfels wieder als Putzfrau, anonym wie die anderen
Dienerinnen und Sklavinnen. Radames als eine Art Hausverwalter
des etwas in die Jahre gekommenen lichtlosen und ziemlich
abgewohnten  bunkerartigen „Palasts“. Mehrere Stufen
tiefergelegt kommt die äußere wie innere Schäbigkeit des
Systems nahezu beklemmend zur Kenntlichkeit. Das ist keine
machtvoll auftrumpfende Großmacht, – das sind die Rudimente
eines ranzig und mickrig gewordenen, giftigen, korrupten und
brutalen Regimes, in dem die Protagonisten mit ihren
individuellen  Empfindungen letztlich von Beginn an keinen Platz
haben. Im Kriegsfall kommt dieses hässliche Fratze der
bröckeligen Macht nur noch krasser zum Ausdruck. Als Ägypten
zum Kampf gegen den äthiopischen Feind ruft, kommt dies einem

kollektiven Doping gleich. Hochdekorierte wacklige Veteranen mit
Sauerstoffgeräten und mit Rollatoren revitalisieren sich
schlagartig unter martialischen Klängen und vibrieren und wippen
mit, dass die Rollstühle nur so wackeln. Im Nu verwandelt sich
nun der Hausmeister Rademes in den Kriegshelden Radames,
wird in viel zu große feldherrliche Klamotten gesteckt und von
jetzt auf gleich unter Standing ovations der senilen High Society
inthronisiert und in den Kampf verabschiedet – sehr zum
Leidwesen des Stubenmädchens Aida, einer geraubten
äthiopischen Prinzessin, die fatalerweise diesen Feind ihres Volkes
liebt. Ebenso wie die Tochter des Pharaos dies tut. Sklavin oder
Prinzessin, Äthiopien oder Ägypten? Mehr an Konflikten geht
nicht. Doch im Siegestaumel geraten aufgewühlte Arien und
herzzerreißende Duette zur Nebensache. Der Hofstaat vibriert,
schäkert und verlustiert sich im Freudentaumel, und Amneris, die
Pharao-Tochter, sieht sich schon als zukünftige Braut Radames .
Doch der siegreiche Kriegsherr Radames, der die Grausamkeit
und Schrecken der Kriegs kennen gelernt hat, ist nicht mehr der,
der er vielleicht nie war. Abgerissen und mit hängenden Schultern
steht er neben der illustren Gesellschaft, die ihn mit Ehrungen
überschüttet. Eine Gesellschaft, an die er den Glauben längst
verloren hat.
Steiers Zugriff gelingt es, die erbärmliche Wirklichkeit hinter den
Fassaden der Macht durchschaubar zu machen. Und die Brutalität,
mit der man die Showseite im Ernstfall mit Klauen und Zähnen
verteidigt. Als er sich zu seiner Liebe zu Aida, der Tochter des
Feindes bekennt, spricht er sein Todesurteil. – und die wackligen
Honoratioren verwandeln sich in Hardliner einer korrupten
Gerechtigkeit. Der Chor in Uniform und Abendrobe wird zum
Resonanzkörper dieser patriotischen Empörung. So vehement,
dass es selbst der düpierten Amneris zu viel wird. Ganz am Ende
scheint sie Rachsucht und Enttäuschung, Wut und Frust von sich
zu schütteln und steht fast nackt vor den Trümmern ihrer eigenen
Existenz. Der Oberpriester verabreicht ihr dezent eine erlösende
Todesspritze. Jener Ramfis, der die ganzen 4 Akte lang, die
Inkarnation des schlechten Gewissens, elegant und indifferent im
schwarzen Anzug das Geschehen fast sprachlos begleitete. Ein
dunkler Schatten, der sich manchmal ob der Lüge dieser kaputten
Gesellschaft fast in Lachkrämpfen wand, um im nächsten Moment
professionell gute Miene zum bitterbösen Spiel zu machen und
energisch für Law and Order zu sorgen. Letztlich überträgt dieser
stumme Diener alle unguten Gefühlsschattierungen, die auf der

Bühne stattfinden, und sich auch bei den Zuschauern breit
machen mochten.
Denn wir erlebten wahrlich keine im üblichen Sinne glanzvolle
Aida – Aber eine erhellende: Selbst das Orchester intonierte
diesen potentiell rauschenden, bisweilen brachialen Verdi eine
Spur weniger auftrumpfend und mitreißend wie üblich. Und der
Heldentenor lavierte gekonnt entlang einer hauchdünnen Grenze
zwischen Triumph und Ernüchterung. Ein Liebes- und Todesduett
am Ende, zwischen zerrütteten und zerstörten Leibern.
Beklommenheit statt Liebestränen – diese auf ihre Art geniale
Aida verlischt einfach und hinterlässt Spuren. Narben. Fragen.

Cornelie Ueding