Jacques Offenbach: Orpheus in der Unterwelt (Berlin-Premiere: Komische Oper 7.12.2021)

„Orpheus in der Unterwelt“ an der Komischen Oper. Musikalische Leitung: Adrien Perruchon, Regie: Barrie Kosky. Foto: Monika Rittershaus

Das Rezept für den süffigen Salzburg/Berliner  Doppel – Sensationserfolg von Barrie Koskys Orpheus in der Unterwelt ist nicht allzu kompliziert: Er nimmt den melancholisch grundierten Mythos um das unglückliche Liebespaar noch weniger ernst als dies Jacques Offenbach ohnehin bereits tut, und peppt das Ganze mit einem Mix aus Micki Maus, Babylon Berlin und Rocky Horror Picture Show  auf:

Und siehe da, die schräge Mixtur geht auf und durch die Decke. 1200 Berliner*innen gerieten eng aneinander gerückt in heitere Ekstase – so als wollten sie Corona und Mutanten, Omikron und Inzidenz einfach wegfeiern— bacchantisch, infernalisch, furios, orgiastisch.

Diese Begriffe beschreiben ziemlich genau die listige Grundidee dieser genialen Inszenierung, die trotz allen comicartigen Klamauks und skurriler Komik eine wahrhaft höllische, anarchistische, explosive  Dynamik freisetzt.

Eine Dynamik, die sich nicht damit begnügt, die mythisch grundierten Protagonisten – Orpheus und Eurydike  – in ein schräges Licht zu rücken: Er ein etwas tapsiger Fiedler, sie eine Mischung aus Möchtegern- Bacchantin und schlüpfrigem Partygirl. Ob Menschen oder Götter – alle werden sie aufs mutwilligste und unterhaltsamste eine Ebene tiefer gelegt:  Pluto als jämmerlich hüpfendes Honigbienchen, Jupiter wechselweise  als Schmeißfliege oder jämmerlicher Looser, Venus und Diana als stöckelnde Vamps…

Aber all diese Verkleidungen, Verwandlungen und Camouflagen machen erst Sinn, wenn sie in Bewegung gesetzt, in Schwung gebracht werden:  Musikalisch von den präzisen Stilwechseln des Dirigenten Adrien  Perruchon. Durch die süffisant rhythmisierte Regie: Kaum eine Szene, die nicht in einen Hochgeschwindigkeitsrausch verfiele oder mit einem mitreisenden Ballett endete – nicht nur durch das erklärte „Höllenballett“, den Cancan –  Und nicht zuletzt durch den genialen Schauspieler Max Hopp in der Rolle des John Styx, der allen Texten und – ja: Geräuschen seine Stimme leiht.  Das beginnt oft ganz leise mit Schrittfolgen, spielerisch unterlegt – und das ist  phänomenal –  mit von ihm gesprochenen Schlurf-, Quietsch- und Taps-Lauten. Ein geradezu frivoler Sound, der unverhohlen und auf eine mitreißende Art sorgenfrei  bis in die letzte Zuschauerreihe schwappt. 

Doch damit nicht genug. Ein solches Potpourri von schrägen Göttern und Typen, Balletteus*INNEN und  behuften Satyrn, züngelnden Lustmolchen und jämmerlichen Losern ist in Gefahr in lauter hübsche Bilder und Episoden zu zerfallen… Deshalb war die Regie gut beraten, zwei starke Klammern einzubauen, die das Ganze zusammenhalten. 

Da ist zum einen die auf wunderbar bösartige Art gnadenlose Figur der „Öffentlichen Meinung“, schwarzbekittelt, kleinkariert und selbstgerecht – und omnipräsent. Sie winkt die Figuren durch die Szene, zieht den zappelnden Orpheus wie einen Wicht hinter sich her…  – Alles in allem: Die Inkarnation bigotter Moral, und dennoch mit einem Hauch voyeuristischer  Doppeldeutigkeit.

Und dann ist da vor allem eben Max Hopp. Schon beim Prolog hat der die Lacher auf seiner Seite, und er wird sich im Verlauf der Vorstellung zur absoluten Hauptfigur der Berliner Neuproduktion von „Orphée aux enfers“ entpuppen. Durch seine lautmalerische und sprachliche Gestaltung erlebte man statt der Dialoge Comic-ähnliche Szenen mit seiner perfekt synchronisierten Ersatzstimme, die allen Figuren die Worte in den Mund legt – und dabei steht er als  eine Art Spielleiter im Blauen Frack mehr oder weniger würdevoll daneben. Das ist virtuose Blödelei vom Feinsten und definitiv eine neue akustische Ebene  – unterirdisch gut!

Cornelie Ueding

„Einfach das Ende der Welt“ / Schiffbau Zürich

Benjamin Lillie in „Einfach das Ende der Welt“ – Inszenierung: Christopher Rüping Premiere: 3. Dezember 2020. Foto ©Diana Pfammatter

 

Die Geschichte des mittlerweile zu einem erfolgreichen Künstler gewordenen Sohnes, der vor Jahrzehnten seine Familie verliess und jetzt in seine kleine Heimatstadt und zu seiner Familie zurückkehrt. Nur zurückkehrt indes, um es nun doch einfach zu beenden, ein für alle Mal. Aber wirklich….

Kritik für die Sendung „Kultur Heute“ vom 4.12.2020 des Deutschlandfunks.

„Einfach das Ende der Welt“ – im Schauspielhaus Zürich. Noch bis 4. Januar 2012 und außerdem am 17.12.2020 im Live -Stream. Infos und Karten unter Schauspielhaus.ch

Ein Deutscher Sonderweg?

Viele der erregten Gemüter auf den großen Demonstrationen gegen die Maskenpflicht sind lediglich besorgte Bürger, fernab von rechtem Gedankengut?
…Mag sein, daß es ein Fehler wäre, pauschalisierend von einer primär rechtslastigen Bewegung zu sprechen – als Symptom eines nicht ungefährlichen Gärungsprozesses ist sie dennoch ernst zu nehmen- gerade wegen dieser scheinbar ungerichteten Energien und der nationalen Singularität der Geschehnisse.

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Ein falscher Frieden für Afghanistan

Der 11. September 2001 ist ein Spätsommertag in New York. Der Himmel ist blau, kaum eine Wolke zu sehen. In der Sprache der Luftfahrt „Sichtflugwetterbedingungen“. Um 8:45 Ortszeit wird an diesem Tag die Geschichte für Millionen New Yorker*innen in ein davor und ein danach geteilt. Der Tag und seine Ereignisse brennen sich tief in das Bewusstsein der Menschen rund um die Welt ein – nine/eleven, der 11. September – er wird zu einem der Tage, bei dem jede*r später weiß, wo er oder sie gerade war.

Kaum ein Tag in der jüngeren Vergangenheit hat so dramatische Folgen wie der 11. September 2001. Für die USA, die NATO und Afghanistan markiert dieser Tag auch den casus belli für den, bis heute andauernden Afghanistankrieg. Im Jahr 2020 soll dieser Krieg endlich enden. Die USA unterschreiben gemeinsam mit den verfeindeten Taliban ein Abkommen, das sie selbst als ‚Peace Deal‘ feiern. Doch Kritik wird laut – hat sich der ‚Dealmaker‘ Donald Trump über den Tisch ziehen lassen? – ein Gastbeitrag von Julian Schlicht

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Auf dem Ballermann der „Freiheit“

Das Volk, „der große Lümmel“, schlägt derzeit heftig über die Stränge. In den zeitweilig coronal Stillgestellten scheint sich mächtig was angestaut zu haben. Die einen stürmen die Mallorca und die Ostseestrände und lagern sich hautnah aneinander. Die anderen proben den Aufstand für das was sie Ihre „Freiheit“ nennen und sind in Berlin zu ganz großer, schriller Form aufgelaufen. 20.000 wippend, Schalmeienblasend und flotte Reden schwingend zogen durch die Hauptstadt und konnten sich endlich allgemeiner Aufmerksamkeit sicher sein. Was macht es der fröhlich freiheitsdürstenden Herde da schon aus, dass sich ein paar hundert hardcore Nazis dazu gesellen , um die Party aufzumischen und zu Ihrer Sache machen.

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Die Macht der Rasse

Recht gegen Chaos, überlegene Kultur gegen Minderwertigeres war die Losung. Gewiß man gab sich kosmopolitisch und weltoffen, doch im Untergrund der Seelen lauerte sprungbreit das Klischee und das Ressentiment, bereit bei geeigneter Gelegenheit zum Angriff überzugehen. Solange wir diese latente Disposition, dieses fatale Erbe leugnen und uns ihm nicht stellen, wird es immer nur bei Lippenbekenntnissen und betroffenen symbolischen Gesten bleiben.

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