Umberto Giordano: Fedora. (Oper Frankfurt)

Ein französisches Bühnenstück von Victorien Sardou über die fatale Rache einer russischen Fürstin verwandelt sich durch den Komponisten Umberto Giordano in ein „Melodramma“. Orte der Handlung: St. Petersburg – Paris – die Schweiz. Eine wahrhaft Europäische Oper aus der Zeit um 1900, die da zu uns herüberklingt: Aus einer Zeit, in der Russland noch wie selbstverständlich zum europäischen Kulturkreis zählte und die Akteure gleichermaßen in St. Petersburg wie in Paris verkehrten. Ein Hauch von Anna Karenina-artiger Leidenschaft und Fatalität, in deren Mittelpunkt die junge, mondäne Fürstin Fedora (Nadja Stefanoff) steht, liegt denn auch über dem Ganzen. Von Beginn an. Bereits nach wenigen Takten schlägt das Schicksal zu, und was als festlicher Opernbesuch am Vorabend der geplanten Heirat mit dem jungen Wladimiro gedacht war, wird innerhalb weniger Minuten zum Schreckensszenarium: Tödlich verwundet wird der Bräutigam in spe ins Haus gebracht – Fedora wird Zeugin der ersten Untersuchungen – und des Todes des Geliebten. 

Und in Minutenschnelle entsteht ihr Racheplan: Graf Loris (Jonathan Tetelman), der Hauptverdächtige für den Mord, muss zur Rechenschaft gezogen werden.

Szenenwechsel: Paris. Fedora beginnt sich mehr und mehr in dem von ihr selbst geknüpften Rachenetz zu verfangen: Ihr Versuch, die Wahrheit zu ermitteln, indem sie ihren vermeintlichen Todfeind, eben diesen Grafen Loris, gleichzeitig stellt, verfolgt, betört und aushorcht, erweist sich als kontraproduktiv. Der Mörder ihres Verlobten betet Fedora inzwischen an, und auch sie gerät mehr und mehr in seinen Bann. Eine fatale, chancenlose Liebe. Denn gleichzeitig setzt sie das Räderwerk der Rache mehr und mehr in Gang, schaltet Polizei und politische Kommissäre ein, um Loris (an dessen Schuld sie noch immer glaubt) zur Rechenschaft zu ziehen. 

Als sie die Wahrheit erfährt – dass Loris ihren (was außer ihr offenbar alle

anderen wussten) untreuen Verlobten aus durchaus legitimen Gründen ermordete – ist es zu spät und nur die Flucht kann beide retten. Vorübergehend. Denn längst hat sich die Maschinerie der politischen Institutionen in Gang gesetzt und den Fall zur ihrem Fall gemacht. Sie wird sich nicht mehr stoppen, allenfalls suspendieren lassen. In der Schweizer Idylle werden beide grausam vom System eingeholt: Loris realisiert, dass er seinen Bruder ins Verderben gerissen hat und verwirft sein ganzes Leben. Fedora setzt ihrem Leben auf offener Bühne durch Gift ein Ende. 

Die vielbeschworene Macht des Schicksals?  Christof Loy zeigt in seiner Inszenierung etwas anderes: Figuren, die – all ihrer Gerissenheit und Routine zum Trotz – nie ganz auf der Höhe der jeweiligen Situation sind. Der Zuschauer weiß sehr viel mehr als die Akteure — und diese Asymmetrie der Informationen verleiht diesem auch musikalisch spröden Melodrama einen zusätzlichen Reiz. Atemlos und gebannt ahnt man die Abgründe, die sich von Szene zu Szene weiter öffnen und die Figuren vor sich hertreiben. 

Jedes Duett, auch die schönsten Belcanto-Momente münden in eine von Dirigent Lorenzo Passerini virtuos gesteigerte bedrohliche Melodik, so dass selbst heitere Momente, meist im Zusammenhang mit der gleichermaßen vitalen wie naiven Olga, vor diesem durchgängig bedrohlichen Hintergrund verblassen. Dass die Schweizer Idylle eine Ruhepause auf Zeit ist, teilt sich jedem mit. Und jeder der vielen von außen übergebenen Briefe wird zum Sprengsatz für die mühsam aufrecht erhaltene emotionale Balance. 

Man hat den Staatsapparat aktiviert, ohne dessen Konsequenz ins Kalkül zu setzen. Der Tod des Zaren wirkt bis ins Innere der intimen Verhältnisse. Bereits im Russland dieser vorrevolutionären Zeit gärt es, und alles noch so Private wird zum Politikum. Auch wenn die Kräfte der Politik im wahrsten Sinn ausgeblendet werden, sind sie omnipräsent und auch der feudale Salon wird zum Tribunal.

Deshalb sind die erhellendsten Momente dieser fesselnden, klugen Inszenierung jene Szenen, in denen mehrere Handlungsebenen visuell übereinander gelegt werden. So sieht man im ersten Akt Fedora auch,

wenn sie nicht auf der Bühne ist, als Video in Nahaufnahme auf der großen, die Bühnenrückwand beherrschende gerahmte Projektionsfläche (Bühnenbild Herbert Murauer), stumm, zerrissen ebenso von Jammer und Entsetzen über den Mord an ihrem Verlobten wie über seinen Charakter.

Später, wenn in einem Hinterraum der Bühne in der offiziellen Gesellschaft high life herrscht und sich ein polnischer Klaviervirtuose feiern lässt, kommt es zwischen Fedora und Loris im Bühnenvordergrund zu einem entscheidenden Gespräch: Und aus Strategie wird Liebe. Draußen aber macht bereits die Kunde von der Ermordung des Zaren die Runde, die alles verändert. Und eine „harmlose“ Intrige wird zum Staatsverbrechen. 

Cornelie Ueding