v.l.n.r. Theo Lebow (Contareno), Heather Phillips (Bianca), Božidar Smiljanić (Doge von Venedig) und Kihwan Sim (Capellio). Copyright: Barbara Aumüller
Eine Opernerfahrung der besonderen Art. Der erste Versuch Bianca e Falliero zu sehen, endete mit einer Überraschung: Der Doge, der machthungrige Vater, ein Teil der Verschwörer – sie alle waren Corona positiv und fielen an diesem Abend aus.
Manch andere Oper hätte möglicherweise die Vorstellung abgesagt und das Publikum mit ein paar tröstlichen Worten nach Hause geschickt. Nicht so die Frankfurter Oper. Binnen kurzer Zeit entschloss man sich, ein konzertantes Opernkondensat mit den verbliebenen Akteuren aus dem Hut zu zaubern. Ein riskanter Versuch, der auch hätte misslingen können. Doch diese „Verkürzung“, “Fragment einer Oper“ wurde zu einer Erfahrung der ganz besonderen – und auch erheiternden Art.
Dirigent Giuliani Carella blätterte vor jedem neuen Bild mit komischer Verzweiflung in der Partitur, drehte sich dann wieder, schelmisch lächelnd, zum Publikum und sagte jede Nummer einzeln an…
Auch wenn die Titelfiguren gelegentlich etwas verunsichert nach ihrer Position auf der leeren Bühne suchen mussten – man begriff, ja fühlte mit jeder Arie, jedem Duett mehr, worum es im Kern ging: Zwei Liebende, die durch Machtspiele und politische Intrigen nach Belieben auseinandergerissen wurden – fanden wieder zueinander. Der siegreiche venezianische Feldherr Falliero und Bianca, die Tochter des venezianischen Senators, werden zum Spielball der strategischen Interessen der Politprofis.
Die historischen bzw. machtpolitischen Details tun nichts zur Sache, sind letztlich Staffage. Denn das Gezerre, den verwirrenden Machtpoker erlebten wir nur aus der Perspektive der „Opfer“: Falliero, (gesungen von Maria Ostroukhova) und Bianca (gesungen von der grandiosen Heather Phillips). Durch diese aus der Not geborene Fokussierung auf ihren emotionalen Kern wurde aus der Oper ein mitreißendes Monodram. Es kam zu einer Art gefühlsmäßiger Kernschmelze, einer anrührenden Verdichtung der emotionalen Zerreißproben in überragenden stürmischen Koloraturen, die auf den zu Corona-Zeiten ja nur halbvollen Zuschauerraum übersprang und eine ganz erstaunlich konzentrierte, intensivierte Stimmung entstehen ließ….
Konventionell, d.h. in voller Besetzung dann zweite Versuch in Sachen „Bianca und Falliero“. Nun standen fast alle auf der Bühne und die ganze Macht der patriarchalen Unterdrückungsmaschinerie war nicht nur zu erahnen, sondern in ihrer ganzen Wucht auch zu spüren. Abgeschlossen durch eines der bittersten Happy Ends, die man sich vorstellen kann.
Erst im Vergleich merkt man, wie geschickt die fragmentarisch-konzertante Fassung von Anfang März letztlich in die Irre geführt hatte. Da waren, man erinnert sich, die Widersacher, Biancas Vater, der Doge und die anderen männlichen Potentaten, Machthaber und Rechthaber Corona-bedingt ausgefallen. Eine Art – ja fast: unfreiwilliges – Experiment unter dem Motto: Wie sähe eine Welt ohne paternalistische Strukturen aus? Das Ergebnis: Es wäre eine weitgehend friedliche Welt.
Nun aber, wenn alle diese Instanzen, wieder gesundet, auf dem Plan stehen und massiv ins Spiel eingreifen, erkennt man, wie verhängnisvoll die Welt der männlichen Besitzansprüche sich manifestiert. Innerhalb weniger Stunden wird aus der vitalen Bianca, die beseligt, in Vorfreude auf den siegreich von der Schlacht im Dienste Venedigs zurückkehrenden geliebten Fallerio schwelgt, eine seelische Ruine. Zerbrochen im Kampf der rücksichtslos ausgetragenen Schlacht um die Macht im Staat.
Der Vater will sie im Kampf für seine politische Rehabilitation gefügig machen – sie soll einen für seine Absichten wichtigen Partner heiraten. Und Capellio, der vom Vater strategisch vorgesehene Bräutigam, glaubt seine verbrieften Rechte rabiat einfordern zu können. Falliero, der junge Held hingegen, will Bianca ganz und gar für sich – mit dem Recht der Liebe, wie er sagt. Hin und gerissen zwischen Gehorsam und Gefühl, ihrer Liebe zum Vater und zu Fallerio und geradezu Abscheu gegen Capellio – zerbricht Bianca ganz allmählich an diesen musikalisch so überragend vermittelten Zerreißproben.
Nicht der Vater, der letztendlich zähneknirschend und unwillig nachgibt, bleibt auf der Strecke – sondern sie.
Mag auch der Text der Oper das anbieten, was man gemeinhin ein Happy End nennt – Regisseur Tilmann Köhler dekuvriert Szene für Szene, Schritt für Schritt das machtgeile Gezerre um die Entscheidungshoheit über das Lieben und Leben einer höheren Tochter als zerstörerisch: Es geht ihm erkennbar nicht um die Fratze eines Happy Endings, sondern um die psychische Destabilisierung, ja Zerstörung einer Person – um ihren Realitätsverlust. Kenntlich gemacht durch unvergesslich gesungene Zerreißproben. Dazu aberwitzige Projektionen auf die doppelten, hohen, die Figuren und ihren Spielraum umkreisenden Wände. Begleitet von gelegentlich eingeblendeten, riesigen bewegten Bildern, in denen sich in Endlosschleifen Farben überlagern, Gesichter verformen oder übermalt werden – und so diesen erbarmungslosen Prozess der Zerrüttung gespenstisch visualisieren.
Bedrückend und anrührend auch die Schlussszene, wenn die völlig verwirrte, ja wahnsinnig gewordene Bianca wahllos ihren Vater, Falliero und auch den verschmähten zweiten Bräutigam umarmt, aneinander kettet und alle zusammen in einem Moment verrückter Weisheit in den Narrenkäfig aus jenen Wänden sperrt, dem sie nun endlich – unter Zurücklassung ihres bisherigen Lebens – entkommen ist.
Nicht nur Nora – auch diese Bianca geht auf Nimmerwiedersehen.
Beide Abende waren so auf ihre Art extrem erhellend – und musikalisch – sowohl gesanglich wie orchestral – zudem brillant.
Cornelie Ueding