Oper Frankfurt: Don Giovanni (2023)

Brenda Rae (Donna Anna) und Christian Gerhaher (Don Giovanni). © Oper Frankfurt

Dem phantastischen jungen Gastdirigenten James Handry und den wunderbaren Sängern ist es zu danken, dass die Wiederaufnahme von Christoph Loy’s Don Giovanni-Inszenierung aus der Spielzeit 2013/14 noch immer ein großer musikalischer Genuss ist. Denn Handry verleiht dem Orchester jene innere  Dynamik, die für Mozarts Ritt durch diese Hölle der Gefühle notwendig ist. Auch die Stimmen der Sängerinnen überzeugen, allen voran Donna Elvira, die den Spagat zwischen Furor und Hingabe glänzend meistert. 

Doch ansonsten merkt man ein wenig, dass die Zeit eben doch nicht ganz spurlos an der diesem „Don Giovanni“ vorübergegangen ist – und wie sehr sich die Operninszenierungen in den letzten Jahren verändert, verdichtet haben. Das betrifft die seltsam statuarische Hauptfigur selbst, deren mythische Verführungskraft  (trotz historisierender Slevogt- Kostümierung) in keinem Moment zum Tragen kommt – im Gegenteil, am Ende des Abends wankt ein sichtlich mitgenommener Greis ins feurige Finale. 

Dieser rapide Alterungsprozess mag sicherlich ein zumindest interessanter Regieeinfall gewesen sein. Doch dass die Inszenierung im Ganzen ein wenig lendenlahm über die Rampe kommt, war sicher nicht die Absicht dieses „Don Giovanni“. Und das zunehmend, je länger der Abend dauert. Denn genau genommen wirkt die monumental leere, aber an gewaltigen Türen und Fensterklappen (die immer mal wieder etwas geöffnet und stets weder geschossen werden) reiche Bühne in ihrer Öde eher trist als auf überzeugende Art  schäbig, ruinös und veraltet. 

In den letzten neun Jahren haben sich Opernaufführungen sehr verändert, und Theater- und Operngänger haben verstanden, dass der Raum mitspielt. Hier bleibt er einfach nur – Hintergrund. Symptomatisch auch für die innere Mechanik dieser irgendwie in sich erstarrten Oper, die aller Dynamik zum Trotz allmählich in Gefahr geriet, zu einer Favoritin der Philosophen und Intellektuellen  zu werden: Bloch, Kierkegaard, Nietzsche, Ortega y Gasset – keiner, der sich nicht von diesem mysteriösen Serienliebhaber angezogen gefühlt hätte. Die eigentliche Pointe, dass nicht seine Stärke und Dominanz ihn auszeichnen, sondern die Schwäche und Unentschiedenheit seines Umfelds ihn groß erscheinen lässt, wurde dabei meist übersehen. Im Grunde ist der „Don Giovanni“ letztlich ein hinreißend melodisches  Szenarium des kollektiven Versagens, was die Kunst der Rache anbelangt, die ununterbrochen in allen Tonlagen beschworen wird, aber dennoch Wunschdenken und Fantasie bleibt. Ob die majestätische Donna Anna, die unglückliche Elvira, die naiv-durchtriebene Zerlina oder der bestürzend inaktive, allenfalls pathetisch auftrumpfende Don Ottavio – keinem von ihnen gelingt auch nur eine überzeugende Gegenaktion: Ein Häufchen Scheiternder schafft überhaupt erst den Koloss auf tönernen Füßen, als der sich Don Giovanni, im Zeitraffer gealtert, endlich mit letzter Kraft über die Bühne schleppt. Es müsste zwischen dem Jäger und den Gejagten, den ihrerseits zu Jägern werdenden Opfern und ihrem Objekt permanent knistern, es müsste sich irgendetwas Nennenswertes abspielen — doch genau dieser Funke fehlt in der Wiederaufnahme. Und das überträgt sich bedauerlicherweise auf die Inszenierung im Ganzen. Die „Verführungsszenen“ wirken hölzern, die Racheversuche scheitern auf eher lächerliche Art: die Bauern um Zerlina und Masetto wirken wie die wackeren Sieben Schwaben, man fuchtelt linkisch mit Pistolen, steht meist fast berührungslos nebeneinander und klagt elegisch über die eigenen Gefühle oder Gefühlsdefizite. 

Auch das große Finale mit der berühmten Verweigerung, dem entschiedenen „No“ des Protagonisten wirkt eher so, als hätte er weder Kraft noch Lust zum Widerstand. Der Heros ist, man muss es sagen, genauso gealtert wie diese an sich schöne Aufführung. 

Cornelie Ueding