Zauberflöte Stuttgart 2024

Foto: Staatsoper Stuttgart

Superlative begleiten diese offenbar alle verzaubernde Zauberflöte
seit …Jahren: Tourneen durch  ganz Deutschland,  ja  um die halbe
Welt. Dieser fantastische Mix aus Comic, Cosmocomic, Stummfilm, digitaler Animation und großer Oper  ist ein Unikat – und  genau das sollte es auch bleiben. Nicht auszudenken, wenn dieses Kunstprodukt aus dem Ideenlabor Kosky / Andrade flächendeckend  in  Serie gehen würde. Ohnehin musste eine ganze Reihe von Glücksfällen zusammenkommen, damit dieses Experiment mit Ingredienzien aus unterschiedlichsten Bereichen derart  überzeugend  gelingen konnten: ein enormes Gefühl für
Tempo, Rhythmik und Geschwindigkeit.  Gespür dafür,  wann und wie man die kleinen Puppen , Püppchen tanzen lässt und die „Leinwand“ dieses imaginierten Stummfilms belebt.

Auch benötigen diese Alchemisten der Plurimedialität neben dem Wissen
um technische Finessen einen 7. Sinn für ironische Pointen und  für
das Konterkarrieren von Ernsthaftigkeit.  Einer der Hauptgründe für diesen Megaerfolg aber liegt schlicht und ergreifend in der Vorlage selbst, der „Zauberflöte“, die sich geradezu für einen  gewagten artistischen Rettungsversuch dieser Art anbietet. Rettung vor romantisierenden Weichzeichnern, parareligiöser Ernsthaftigkeit oder kindischen Märchenonkelei. All dies hat man bereits Dutzende von Malen gesehen und lässt es mehr oder weniger gleichgültig über sich ergehen. Für eine wirkliche Überraschung war dieses  kuriose „Machwerk“ (wie bissige Kritikaster es gelegentlich nannten) längst nicht mehr gut.


Bis…ja bis Kosky/Andrade sich darüber her machten – und dem
Stück Beine machten. Von der ersten Minute an – wenn die
böse Schlange den unschuldigen Jüngling verfolgt. Was hat man da
nicht schon alles vorgeführt bekommen. Plüschtiere, Plastikdrachen, einen Siegfriedverschnitt als Drachentöter. Hier zerfällt Tamino vor Panik in zwei Hälften, ein Teil verharrt erstarrt, eine anderer flüchtet mit panisch strampelnden Beinen.  Oder die immer etwas peinliche Szenen mit den drei das Geschehen assistierenden Damen. Hier stehen  sie als Säulenheilige gutwilliger Geschwätzigkeit ganz oben auf Podesten und senden allenfalls sentimentale Liebesgrüße an Tamino, das Objekt ihrer Zuwendung. Die Königin der Nacht, üblicherweise muss sie sich ja „dämonisch“ geben, wird hier zur alles überwölbenden Riesenspinne zwischen deren Klauen sich winzige Menschen verfangen und die lähmend bedeutsamen
Auftritte der „Isis und Osiris“ Granden lösen sich auf in zylindertragende, schwarze Drohfiguren wie man sie aus dem Stummfilm der 20er Jahre kennt.


A propos Stummfilm: neben den Comics vielleicht die beglückendste Idee, um die Oper von einer ihrer ärgsten Schwächen auf überaus elegante Weise zu befreien – ihren quälend langen hölzernen Rezitativen.  Statt ätzenden Witzeleien und bedeutsamen Weisheitslehren nun knappe Zwischentitel in balkendicker Stummfilmkintopp Manier  – ein Wundermittel, um der zauberhaften Flöte alles  Zaudernde, Retardierende auszutreiben.  Mit der Autorin, Regisseurin und Performerin, Suzanne Andrade  gründete 2005 gemeinsam mit dem Animationskünstler und Illustrator Paul Barritt  und Berrie Kosky hat sich ein Team gefunden, dem es meisterlich gelang, der alten, ein wenig
abgehangenen betulichen Märchenoper Flügel zu verleihen  und sie
in Schwung zu versetzen. Eine neue Leichtigkeit, nach der man sich, dies zeigt die Resonanz der Publikums, offenbar lange sehnte, vielleicht ohne es zu wissen. Witz und Ironie statt Weihrauch und Tiefe: Warum eigentlich nicht?