Siroe / 16. 2. Großes Haus Karlsruhe

Foto: Felix Grünschloss

Dunkles, gruftartige Gewölbe , Game of Thrones-artig kostümierte
Figuren, sehr viel blitzende Schwerter, sehr viel flackerndes Feuer. 
Mittelalterliche Gesamtatmosphäre. Man kann der Regie nicht
vorwerfen, sie hätte auf Aktualisierung, Modernisierung gesetzt, um
die krude Geschichte um den gefürchteten persischen
Gewaltherrscher Cosroe eingängiger zu machen. Nach einer blutigen
Schlacht, die ihm beachtlichen Macht- und Landgewinn einbringt,
sieht der König die Zeit gekommen, seine Thronfolge zu regeln. Ein
schier hoffnungsloses Unterfangen in dieser ganz besonderen
Familienbande. Es könnte nicht schlimmer sein: keiner traut keinem
in dieser Familie. Denn es geht in dieser leider viel zu selten
gespielten Oper letztlich nur um eines: um Macht.
Genauer: um den Fluch der Macht. Als erstes begeht Cosroe einen
entscheidenden Fehler: Er setzt auf den falschen Sohn, misstraut
dem loyalen Siroe und begünstigt den tückischen, ehrgeizigen
Medarse.

Aus dieser Fehlentscheidung entwickelt sich eine fatale
Mechanik der Intrigen, von der keiner und keine verschont bleibt.
Auch nicht die Rivalinnen um die Gunst Siroes: Emira, die Tochter
des eben vernichteten Feindes, die,  in Kampfmontur, den Dolch
gezückt, auf Rache sinnt, und die  als Sonnenkönigin aufgeputzte
Konkubine des Herrschers, Laodice, deren Avancen  der standhafte
Siroe aber zugunsten der geliebten „Feindin“ Emira zurückweist.
Zugleich misslingt sein Versuch, den Vater vor dem geplanten
Attentat seiner Geliebten zu warnen, so spektakulär, dass nun er in
Verdacht gerät als  Hochverräter zu agieren.

Summa Summarum eine albtraumartige Situation: Laodice tiefverletzt und racheglühend. Emira, die er liebt und zugleich  daran hindern will, seinen Vater zu töten. Sein ehrgeiziger Bruder, der versucht die Gunst der Stunde zu nutzen und ihn weiter in Misskredit bringt. Und ein aufs Tiefste
verletzter, vor Wut schäumender Vater, der sich von allen und vor
allem auch von ihm verraten fühlt und nicht zögert, den eigenen
Sohn hinrichten zu lassen. Unversöhnliche Liebe und
selbstzerstörerischer Hass treiben die Figuren an den Rand des
Selbstmordes und der Verzweiflung – ein Affektgemenge, das das
innerlich vibrierende Dirigat Attilio Cremonesis in seiner emotionalen
 Wucht und Verve  exzellent zum Ausdruck bringt: geschmeidig und
zugleich kraftvoll haucht er Händels Opera Seria eine Energie ein,
die 300 Jahre seit der Premiere im Londoner Haymarket Theater
vergessen und das Publikum gebannt mitfiebern lassen.

Wenn sich im allerletzten Moment doch noch alles zum Guten
wendet, genauer, nur das Schlimmste vermieden wird, will dies
keine rechten Glücksgefühle auslösen. Der Raum vibriert noch
immer, bebt förmlich nach, und die unaufgelösten Spannungen
wirken weiter. Kein rein kulinarischer, eher ein auf erhellende Weise
verstörender Festspielauftakt.  Regisseur Ulrich Peters sucht und
findet überzeugende Bilder, um der enormen Spannung, die auf
jeder der Figuren lastet, zum Ausdruck zu bringen. Der verräterische
Bruder zerbricht förmlich auf offener Bühne, die enttäuschte Laodice
steht am Ende zerfleddert in einer Ecke und die Düsternis der Bühne
lässt nicht den Schimmer einer Hoffnung aufkeimen. 
Allein die Musik, die nuancierte Abstimmung der Countertenöre, der
Wettstreit der beiden virtuos  rivalisierenden Frauenstimmen und die
großartigen Händelsolisten im Orchester, vermitteln so etwas wie ein
befreiendes Moment. 

Cornelie Ueding