How dare you …

Um es geradewegs herauszusagen: ich bin kein Greta Fan. Wohl wissend, dass man sich mit diesem Eingeständnis heutzutage nahezu in den Orkus der menschlichen Gemeinschaft katapultiert. Ich bin keiner und ich werde auch keiner mehr. Und dennoch möchte seit gestern ich zu ihrem Fürsprecher, ja Beschützer werden.

Noch hallt ihr zugleich zornbebendes und tränenersticktes „how dare you?“ vor der versammelten Politprominenz im UN-Sitzungssaal in mir nach. Noch höre ich die spitzen Entzückensschreie der Delegierten, wenn das Kind sie als unfähige verlogene Heuchler brandmarkte, sie als korrupte Bande diffamierte. In diesem Moment begriff ich zum ersten Mal, was bei diesen zum Ritual werdenden klimatischen Publikumsbeschimpfungen eigentlich abgeht und weshalb sie weltweit vorgeführt werden. Ich denke, der Begriff der „Vorführung“ ist durchaus angebracht. Es ist wie bei Handke vor 3o Jahren – man möchte dabei sein, wenn man in den Staub getreten wird. Man möchte lustvoll, hautnah und dennoch unverbindlich auskosten, dieses Gefühl der öffentlichen und doch folgenlosen Demütigung durch ein Kind. So ähnlich muss es gewesen sein, wenn Jeanne D`Arc ihren Franzosen Feigheit und Laschheit vorwarf.

Mehr noch: man hat eine Stellvertreterin, eine Art Emotions-Dummy gefunden, die all das durchlebt, was man selbst längst verloren hat … Eine neue Cassandra, Antigone …

Freilich: Greta ist keine Schauspielerin, und ein Plenum ist kein Theater. Wenn man gedankenlos so weiterverfährt und die auf ewig zum Alter von 16 verurteilte Schwedin von einem Groß-Event zum anderen zerrt, schleift, ist das böse Ende absehbar. Irgendwann wird sie vor den Augen ihrer süchtigen Bewunderer auf offener Bühne kollabieren. Und das wird perverserweise der Höhepunkt ihrer Wirkungsgeschichte sein.
Die Szene wird zum Tribunal, vielleicht sogar zum Fanal – und wir im Parkett erleben das angenehme Erschauern, das das Publikum immer empfunden haben mag, wenn ein Märtyrer in die Arena trat.

Um es klar zu sagen. Auch als psychologische Laie traue ich mir zu, zu sagen, dass diese „how dare you“-Rufe Hilfeschreie waren. Hilfeschreie, um aus diesem perpetuum mobile herausgeholt zu werden. Alles ist gesagt. Wir kennen alle ihre Argumente. Wenn gehandelt werden soll, dann bitte ohne weiteren Missbrauch einer 16-jährigen als automatischen Moral-Vibrator, der uns Scheintote eine Stunde der wahren Empfindung beschert. Und sich dabei für alle sichtbar vor unseren Augen an den Abgrund redet und fühlt. Sie gehört nicht dahin. Sie gehört nicht nach Davos, zum Papst oder zur UN. Sie gehört auch nicht mehr in die Schule. Nach dieser irrwitzigen, mehr als schwindelerregenden Laufbahn gehört sie in die Hände eines klugen, sensiblen Therapeuten, der ihr dabei hilft, wieder auf die Erde zurückzukommen und ihr Leben zu leben. Sonst kommt ihr nicht nur die Kindheit, sondern auch noch das Restleben abhanden …