Shakespeares ‚Othello‘ – Berliner Ensemble

‚Othello‘ – Berliner Ensemble. Foto: ©Katrin Ribbe. vorne: Ingo Hülsmann, hinten: Chor, Peter Moltzen, Ludwig Wandinger

Das Volk steht als sinistrer Chor im dunklen Bühnenhintergrund, unidentifizierbar, vermummt – und brüllend. Eine Schande, eine Sünde sei es, was der Republik Venedig geschehe – wo ein Schwarzer, Neger, Mohr im Begriff sei, eine noble, weiße Venezianerin, Desdemona, zu schwängern.

Wer immer die bis in die ersten Zuschauer-Reihen hineinragende Bühnen-Drehscheibe betritt, ist den Blicken dieser gnadenlosen Beobachtermeute ausgesetzt (dem Bühnen-Volk  – und den Zuschauern. Nur die Theaterbesucher haben beide Positionen im Blick). Nackt, blutgetränkt, Othello, gezeichnet von all den militärischen Heldentaten im Dienste Venedigs, die zu dem Zeitpunkt (an dem Thalheimers Inszenierung ansetzt) schon vergessen sind. Vergessen und überschattet von seiner verwegensten Tat, der als skandalös empfundenen Heirat des Schwarzen mit einer „weißen Frau“.

Es gibt kaum einen zweiten Autor, der offenen Rassismus gegen Schwarze früher und  intensiver zur Kenntlichkeit bringt als Shakespeare. Mit allen Klischees, dumpfen Gefühlen und – gemeinen, geheimen Ängsten: allen voran der vor Vermischung  – vor der Herstellung von „schwarz-weiß gefleckten Bastarden“. In dieser Hinsicht ist Othello tatsächlich so grob, übergriffig, laut und grell wie ihn Thalheimers bisweilen expressionistisch anmutende Inszenierung auf die Bühne des Berliner Ensembles bringt. Und bis dahin ist sein Regiekonzept schlüssig.

Doch wenn es in die Details geht, wenn die Art und Weise dargestellt werden soll, wie man sich der Klaviatur des Rassismus bemächtigt, um sein Spiel zu spielen, also um sich für  eigene Benachteiligungen und Erfolglosigkeit zu rächen – dann lösen sich unter einem groben, eindimensionalen Zugriff alle Nuancen auf.

Genau dies ist die Situation des ebenso meisterlichen wie skrupellosen Intriganten Jago, der seinen Herren in eine tödliche Spirale von Argwohn, Eifersucht, Wut und Hass treibt, so lange so perfekt, dass am Ende sowohl die ebenso unschuldige wie passive Desdemona (Sina Martens) wie auch ihr blindwütender Mann auf der Strecke bleiben.

Und genau hier, wenn es gälte, die perfide Mechanik der allmählichen Verwandlung von Liebe in Hass sichtbar zu machen, versagt die Inszenierung vollständig. Verführung, Manipulation, Einflüsterung und verhängnisvolle Andeutungen geschehen in der Regel leise und im Versteckten, nicht aber in Form einer zweistündigen grobianischen, gnadenlosen und leider auch hilflosen Brüllorgie. Die Monotonie dieses mächtigen Stimmaufwands ist tödlich für die Aufführung und besiegelt das Scheiten dieser Inszenierung. Jago (Peter Moltzen) mutiert zu einem flachen tragedia – „dell´arte“– artigen Faktotum des Bösen, ohne so recht zu überzeugen. Jede Dämonie einer Kunstform der Intrige als Königsweg der Zerstörung ist ihm abhandengekommen. Er hampelt – halb Erfüllungsgehilfe, halb großer Schurke – hilflos und recht freudlos zwischen den gespaltenen Teilen seiner Rolle hin und her.

Schade um das Potential der großartigen Schauspieler. Was mit ihnen zusammen möglich gewesen wäre, wird ansatzweise an der körpersprachlichen Ausdrucksfähigkeit Othellos (Ingo Hülsmann)  sichtbar, der – erst körperbetont, fast kraftmeierisch – im Verlauf der mörderischen Intrige phasenweise zu einem leidenden, zuckenden Bündel Mensch mit verdrehten Gliedern und gebrochenen Armen wird. – Hätte Thalheimer auch die psychischen Vorgänge der anderen Figuren in eine derart körpersprachlich präzise ausgestaltete Choreographie übersetzt – es hätte ein großer Abend werden können.

'Othello' nach William Shakespeare. Noch bis 6.12.2019 am Berliner Ensemble. Regie: Michael Thalheimer mit einem Bühnenbild von Olaf Altmann. 

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