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Das schlimmste was einem Seher passieren kann, wäre es überrascht zu werden. Oder von der Realität überrollt zu werden. Genau dieser Prozess scheint sich derzeit abzuspielen. Im Verlauf des Jahres 2019 kam es zu einer irritierenden Vervielfältigung konflikthaltiger Szenarien – weltweit. Die Spannweite der nicht im üblichen Sinne voraussagbaren Konflikte reicht von Europa über den afrikanischen Kontinent bis hin zu Süd- und Mittelamerika und Asien. Die neuen Revolten haben – trotz ihrer unterschiedlichen Ursachen und enorm verschiedenen Modalitäten in der Performance – einen gemeinsamen Ursprung, der sie von vielen der bisherigen Clashes unterscheidet. Gleich ob Hongkong, Chile, Bolivien, Equador, Algerien, – immer geht es im Kern um Widerstand gegen verkrustete, dogmatische Systeme mit stark autoritären Zügen und mangelnden Zukunftsperspektiven.
Insofern handelt es sich um andere als die bisher in Europa zu beobachtenden Konflikte etwa in Bosnien, Katalonien, der Ukraine oder Nordirland. Hier ging und geht es um stark ideologisch geprägte Auseinandersetzungen zwischen ethnisch oder historisch unterschiedlich kodierten Systemen. Anders als in diesen Fällen, ist der Kampf der Aufständischen in den oben genannten Ländern und Regionen primär gegen autokratische Machthaber gerichtet und tritt vehement für ein Mehr an Demokratie ein. Eine Einstufung mittels Kategorien wie Rechts und Links sind dabei nur bedingt hilfreich. Neben ökonomischen und sozialen Ungerechtigkeiten spielen auch solche der indigenen Zugehörigkeit und der Verteidigung der Autonomie eine wichtige Rolle.
Das globale Gesamtsystem der Vergesellschaftung und Mitverantwortung wird zukünftig keine politische Neutralität oder politische Abstinenz mehr erlauben. Die Diplomatie der taktischen Nichteinmischung ist nicht mehr zeitgemäß. Globale Verflechtung bedeutet zwingend globale Verantwortlichkeit.
Dies heißt selbstredend nicht, dass ein Land wie Deutschland oder ein Kontinent wie der europäische direkt (militärisch) intervenieren sollte, wohl aber, dass beide verpflichtet sind, Strukturen der Vermittlung und Deeskalation, weit über das bisherige praktizierte Maß hinaus zur Verfügung zu stellen und zu entwickeln.
Und zwar, soweit irgend möglich im Vorfeld und präventiv. Neben dialogischen Plattformen bietet sich frühzeitige logistische Unterstützung beim Errichten und Ausgestalten von Schutz- und Pufferzonen, Fluchtkorridoren und faktischen wie virtuellen Aufenthalts- und Austauschräumen an.
Dieser dringliche Appell bezieht sich nicht nur auf topographisch benennbare Konfliktfelder, sondern auch auf solche, die eher technologisch oder phänomenologisch als topographisch zu verorten sind: die Gefährdungen durch neue Technologien wie die KI, den Klimawandel und die Migration. Wir werden hier in lockerer Folge und blitzlichtartig, den Fokus auf diese troublespots richten.