Heiko Maas und der ‚größte Fehler‘ der EU

 

Bild: Own work - based on: ©Cradel

Eben hat Außenminister Heiko Maas Frankreich für die Blockade von EU-Beitrittsgesprächen mit den Westbalkan-Ländern Nordmazedonien und Albanien kritisiert: „Die EU hat eine katastrophale Fehlentscheidung getroffen„, sagte er auf dem SPD-Parteitag in Berlin. Dieser Aussage ist zuzustimmen. Sie ist freilich nur Teil einer ganzen Serie von phänomenalen Fehlentscheidungen, die auf das Konto der EU gehen. Wenn sich Europaparlamentarier der Mühe unterzögen, sich mit den Kulturen über deren Zukunft sie entscheiden, auch nur flüchtig zu beschäftigen, wüssten sie was sie tun. Sie wissen es offenbar nicht – oder, noch üblere Variante, es ist ihnen egal. Es mag eigenartig erscheinen, dass es ausgerechnet Literaturwissenschaftler offenbar übernehmen müssen, Länderkundeunterricht  für Berufspolitiker zu geben.Wissen diese  nicht oder wollen sie nicht wissen, dass „Der Eintritt in die EU für die Albaner die oberste Priorität [hat]. Sie sehnen sich nach der Rückkehr in die europäische Familie. Es ist ihr großer Traum. Die kulturgeschichtliche Trennung von Europa ist für die meisten ein Trauma“. So die albanische Autorin Lindita Arapi. Die in Bonn lebende Autorin hat die Repressionen der stalinistischen Diktatur in Albanien selbst erfahren. Weiß, wie verletzlich das albanische Bewusstsein ist und welchen Rückschlag diese törichte Entscheidung bedeutet. Damit auch, welche Möglichkeit es anderen interessierten Mächten, die im Balkanraum förmlich Schlage stehen, eröffnet: um nur China, den Islam und Russland zu nennen. Falls man darüber hinaus auch noch  die Mühe auf sich nähme, einen Blick  in die Romane des großen Autors Ismael Kadare zu werfen, könnte der betriebsblindeste EU Funktionär nicht umhin zu erkennen, welch gefährliches, gleichermassen autodestruktives wie aggressives Potential  durch die Verletzung des  überzogenen und fragilen  nationalen Stolzes in dieser Region  freigesetzt  werden kann. Entsprechendes gilt nicht minder für das ideologische Pulverfass Mazedonien. Auch hier liegen die Nerven blank. Das eben mühevoll aus dem Ei gepellte Konstrukt Nordmazedonien jetzt, unmittelbar nach seiner schwierigen Geburt abzuweisen, kommt einer politischen Abtreibung gleich. Gewinner werden die sein, die immer schon vor Europa gewarnt haben und das kleine Stück Hoffnung wird im Keim erstickt. Mazedonien ist eine europäische Drehscheibe der Kulturen. Griechische, illyrische, sogar persische, später slawische Einflüsse trafen aufeinander, stießen sich ab, bekämpften einander, kamen zusammen, trennten sich wieder in einer historischen Endlosschleife. Bis vor wenigen  Jahren schien man endgültig in dieser Endlosschleife der Schuldzuweisungen und Verdächtigungen gefangen: jeder Kompromissvorschlag wurde zum Zeichen des Verrats, Vermittlung suspekt.  Und just in dem Moment, in dem sich die Tür zu einem europäisch grundierten Dialog öffnet, knallt man sie durch diese Entscheidung wieder zu. Jetzt hätte die EU die Chance gehabt, sich selbst einen Gefallen zu tun. Jetzt wäre der Moment gewesen zu zeigen, dass Europa die Kraft hat, Verhärtungen zu lösen, Alternativen anzubieten. Den Balkanraum ein kleines Stück weit zu befrieden. Wenn man, wie zu befürchten,  so weitermacht, wird man ihn stattdessen verlieren und in eine Neuauflage der Balkankriege der 90 er Jahre treiben.

Deshalb die dringliche Bitte, diesen fatalen Entschluss zu überdenken und zu revidieren. Und die verhängnisvolle, demütigende Prozedur diesen hochsensiblen Raum durch eine Art  kultureller Ranking Tabelle zu  segmentieren, umgehend  abzuschaffen. Mit dem Modell Kroatien AA, Serbien BB, Kosovo C oder D schürt man Zwietracht  und sät Hass. Zumal in einer Region, die  eine  fatale Tradition 500 Jahre wechselseitiger Rivalität möglicherweise eben im Begriff ist, langsam zu überwinden. Europa sucht angeblich nach seiner „Narration“ – und fällt sich selbst in den Rücken!

Aussenminister Maas bei seiner Rede auf dem SPD Bundesparteitag

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