Mozart: LE NOZZE DI FIGARO / Staatsoper Stuttgart

Die unangefochtene Hauptrolle spielt das Doppelbett. In jeder Szene. Damit das jeder merkt, beginnt die Aufführung nicht nur in einem steril, ja spießig anmutenden Bettenmöbelkaufhaus, sondern in leichten Variationen ist dieses Möbel stilprägend für den ganzen Abend. Meist steht das Doppelbett in einem der vielen mobilen Zimmerwürfel, die entweder in slow motion über die Bühne gleiten oder, später, Wand an Wand gestellt, wie eine Reihe von Hotelzimmern mit zwar verschließbaren, aber eben oft auch offenen Zwischentüren wirken. Intime Orte, irgendwie, doch ohne hinreichenden Schutz. Orte für konspirative Treffen, aber auch unverhoffte, gelegentlich heikle Begegnungen, denn hier kann jederzeit jeder hereinplatzen. Was gelegentlich den einen oder anderen unverbindlich witzigen Effekt erzeugt. Mehr nicht.

Denn sähe man nur diese Aufführung, ohne die Figaro-Handlung zu kennen – man käme nicht im Traum darauf, dass es bei Beaumarchais / Mozart dominant um Liebe und Macht, um Herrschaft, Willkür und sozialen Widerstand zu tun ist. Nun gut – jeder Regisseur hat natürlich das Recht, vielleicht sogar die Verpflichtung, tradierte Stoffe einer umfassenden Revision, vielleicht sogar einer Rundumerneuerung zu unterziehen. Dennoch, eine Grenze scheint erreicht, wenn im Wahn um Originalität das eigentliche Zentrum eines Dramas gezielt umgangen wird und damit jede innere Spannung gegen Null tendiert.

Es ist, wie wenn man Macbeth ohne paranoiden Ehrgeiz, Hamlet ohne Skrupel zeigen würde.

Was immer Liebe ist, sein könnte oder sollte, diese Frage stellt sich in Stuttgart gar nicht. Erotik? Fehlanzeige! Und schon gar nicht, was Liebe und Herrschaft trennt:  Was, wenn Klassenschranken dem einen Freier Hürden in den Weg legen, dem anderen, dem adligen Herrn dagegen Freiheiten wie das ius primae noctis zugestehen? Das ist ja das eine große Thema dieser Oper. Aber in Christiane Pohles Figaro-Inszenierung geistern alle, Herr wie Knecht, samt und sonders wie Nachtwandler des Begehrens durch die Zimmerchen. Die Männer wittern Gelegenheiten und Chancen und wollen sie nutzen, die Frauen schon auch, aber doch auch lieber nicht – also schmieden sie Allianzen, in denen es darum geht, den Mann, jeden Mann, sei’s Figaro, sei’s der Herzog oder der Mann, der sich als Figaros Vater herausstellt, ins jeweils richtige Bett zu kriegen. Also folgt der Griff in die Mottenkiste der Witzelei:  Wer nicht gesehen werden will oder darf, verkriecht sich im Bett, dahinter oder darunter, schlüpft unter die Bettdecke – oder, Krone des Komischen, wirft ein größeres Tuch, Laken oder Decke über sich und am besten gleich noch über eine zweite Person: Still-Leben. Schließlich schränken diese von Zimmerwänden eingeengten Riesenbetten den ohnehin kleinen Spiel-Raum der Figuren so ein, dass Besetzen, Besitzen, Täuschen und Tricksen, Weglaufen und Entdeckt-werden zu Selbstläufern und einer Art Dauer-Hektik werden, die in krassem Gegensatz zu den Gefühlswirren steht, die Mozarts Arien vermitteln. Gegen Ende verlieren diese unerotischen, und unangenehmerweise sogar etwas spießig anmutenden Bäumchen wechsle Dich – oder cherchez la femme – Spielchen leider jede Spannung: Lemuren der Liebe umschleichen einander im Zeitlupentempo und verdoppeln, verdreifachen sich dabei –  was wohl auf eklatanten Verlust der Identität verweisen soll, aber letztlich nur Irritation stiftet. Die Idee des Seriellen allein – vom Bettenlager bis zu diesen irgendwie verklemmten Erotikjunkies – trägt einfach nicht über eine ganze Inszenierung.

Nur die Musik, die brillanten, hingebungsvollen, zum Teil ganz jungen Sänger und Roland Kluttig, der als Dirigent den Brüchigkeiten wie auch dem Brio der Musik Mozarts in allen Facetten nachspürt, überdecken weitgehend die Blößen, die dieser öde Abend der revolutionären, auf Widerstand gebürsteten Oper antut.

Wie man so schön sagt – etwas weniger an „Originalität“ wäre hier möglicherweise tatsächlich mehr gewesen.