Christoph Willibald Gluck: Iphigénie en Tauride / Opernhaus Zürich

Ein harter grellweißer Rahmen grenzt die Bühne ab. Dahinter führt ein tiefschwarzer Trichter in die Tiefe, ein lichtloser Schacht, der alles Leben einzusaugen scheint. Michael Levines suggestiver Raum bildet den kongenialen Hintergrund für eine gleichfalls tiefschwarze Iphigénie, in der die vielbeschworene Menschlichkeit allenfalls noch einen traurigen Pyrrhussieg erringt. Wenn hier Lichtbahnen das Dunkel aufbrechen, so sind dies zerstörerische Blitze, die den Raum, Decke und Wände, für Augenblicke geradezu aufzureißen scheinen, bevor sie sich wie riesige Kiefer wieder schließen und alles Leben vernichten. Und jeden Fluchtweg brutal abschneiden. Nicht nur Iphigénie, alle Priesterinnen der Diana sind weit mehr Gefangene als Handelnde in diesem Drama der Vergeblichkeit. Umkreist, getrieben, eingekesselt von einem mörderischen Reigen todbringender, gleichfalls schwarz schimmernder Erinnyen, Häscher und Henker. 

Wie kann aus solcher Düsternis ein derart strahlender Opernabend erwachsen? 

Und was für ein Opernabend! Cecilia Bartoli ist nicht nur eine ideale Besetzung der Iphigénie und sie singt nicht nur traumhaft schön – sie verdichtet jeden Augenblick! So ist die Wiederbegegnung der Geschwister Iphigénie und Orest wohl noch nie erzählt worden: Iphigénie jammert und klagt nicht – sie IST die personifizierte Trostlosigkeit, Untröstbarkeit, noch intensiv und ergreifend in einem unerhörten, bis zur Tonlosigkeit verdämmernden Pianissimo. Und diese förmlich auf den Herzschlag getaktete Rhythmik und Intensität erfasst unter Leitung des Dirigenten Gianluca Capuano alle Sänger: facettenreich entfaltete, ambivalente Gefühle in einem Wechselbad der Affekte – das gilt ebenso für Orests verzweifelte Getriebenheit und Todessehnsucht wie für Pylades sehsüchtigen Traum von seinem Selbstopfer für den Freund.

Die Zuschauer sehen auch zu, wenn vor Iphigénies Augen Erinnerungen an Familienszenen auftauchen. An dem düsteren Bühnen-Ort erscheinen sie alle anheimelnd hell. Und doch ist zu sehen, wie Klytämnestra, ihre Mutter, ihren Vater Agamemnon ermordet, und dass Orest, ihr Bruder, den Vater gerächt und die Mutter erschlagen hat. Sie selbst hat nur dank der Göttin Diana überlebt, der sie geopfert werden sollte. Und im Exil ist Iphigénie nun eine Priesterin der Diana. In ihren Träumen verschmilzt, ebenso sehnsüchtig wie widersprüchlich, Diana mit einem idealisierten Mutterbild. Und so verstellt ihr am Ende von Andreas Homokis zugleich anrührender und strenger Inszenierung die Schar der tief verschleierten, in schwarzen, bauschigen Röcken steckenden Schwestern den Aus-Weg ins Feie. Endgültig aller familiären Nähe und auch Verpflichtungen „beraubt“, gibt es für Iphigénie kein „Zurück“ in die „alte Heimat“, auch nicht zusammen mit dem von ihr geretteten Bruder und seinem Freund Pylades. Sie ist bei ihrer Mutter, ist zuhause.

Iphigénie en Tauride – Tragédie en quatre actes von Christoph Willibald Gluck (1714-1787) – Libretto von Nicolas-François Guillard
nach der gleichnamigen Tragödie von Claude Guimond de La Touche. Am Opernhaus Zürich. Cecilia Bartoli singt die Iphigénie vom 2. – 11. Februar und wird dann in der Rolle abgelöst von Birgitte Christensen.

Ein Interview mit Cecilia Bartoli zu ihrer Rolle finden Sie auf der Seite des Operhauses Zürich